Die Antarktis ist kein Modell für die Besiedlung anderer Welten

antarctica
Eisberge in der Antarktis (Quelle: Liam Quinn; CC-BY-SA 2.0)

Wenn von der Besiedlung anderer Welten die Rede ist, so kommt gelegentlich die Antwort, dass die Menschheit „ja noch nicht einmal die Antarktis besiedelt habe“, wo doch diese „sehr viel lebensfreundlicher sei“ als zum Beispiel der Mars. Womit wohl angedeutet werden soll: wenn es doch in der Antarktis schon nicht klappt mit der Besiedlung, wie soll das dann erst auf dem Mars gehen?

Der Vergleich hinkt. Zuerst einmal offensichtlich deshalb, weil man nur ans andere Ende der Welt blicken muss, um den Gedankengang widerlegt zu sehen: Grönland ist ähnlich lebensfeindlich wie die Antarktis – und trotzdem leben da Menschen. Spitzbergen wäre ein anderes Beispiel, oder andere Inseln in der kanadischen, dänischen, norwegischen und russischen Arktis. Aber gerade Grönland ist schon seit Jahrtausenden von den Inuit besiedelt, Menschen, die sich den lokalen Herausforderungen gestellt und sich angepasst haben. So, wie das Menschen überall auf der Erde,  in ihrer langen, gewundenen Geschichte immer wieder getan haben. Grönland wurde auch für eine gewisse Zeit von Wikingern besiedelt, eine faszinierende Episode der Geschichte, die ich demnächst in einem separaten Artikel beleuchten möchte. Die Antarktis ist aber durch ihre abgelegene Position sowie starke Meeresströmungen vom Rest der Welt isoliert und wurde deshalb vor der Entdeckung durch die Europäer nie – zumindest, soweit wir das wissen – von Menschen besucht.

Die Antarktis ist zudem seit Jahrzehnten durch den Antarktis-Vertrag geschützt: die Nationen der Welt haben darin 1961 vereinbart, keine territorialen Ansprüche in der Antarktis anzuerkennen, oder zumindest, diese vorerst aufs Eis zu legen (haha). Der Vertrag verbietet die Ausbeutung lokaler Ressourcen genauso wie militärische Übungen. Zudem steht der Schutz der einzigartigen Natur sowie die internationale Zusammenarbeit, insbesondere in der Wissenschaft, im Vordergrund. Entsprechend ist es kein Wunder, dass die Antarktis nicht besiedelt wird: es würde dem Antarktis-Vertrag völlig entgegenlaufen. Eine Siedlung müsste an der Küste errichtet werden (nur schon, um die Versorgung zu gewährleisten). Doch dort befindet sich aber auch die Natur, die man schützen will. Wenn die Siedler von einem der Staaten kämen, die einst territoriale Ansprüche angemeldet haben, wäre das ein gefährlicher Präzedenzfall, der den Antarktis-Vertrag kollabieren lassen könnte. Aber auch Siedler aus anderen Staaten wären problematisch – gerade bei Siedlern aus Staaten, die nicht Teil des Vertrags sind, könnte ein Konflikt die Folge sein. Die Siedler würden darüber hinaus mit Sicherheit auch die lokalen Ressourcen nutzen wollen, ein weiterer Punkt, bei dem sie mit den Vertragsstaaten in Konflikt kämen.

Man kann also sagen, dass die Antarktis interessierten Siedlern keineswegs für offen steht – im Gegenteil ist sie einem durch mächtige Staaten (z.B. die USA, Russland, China, Frankreich oder Grossbritannien) getragenen Vertragswerk unterstellt, das keinen Raum für Besiedlung vorsieht. Und genau darin liegt auch ein dritter Unterschied zu einer zukünftigen Siedlung auf einem anderen Planeten: die Vertragsstaaten können in der Antarktis ihre Ansicht der Dinge – sicherlich gegenüber Drittstaaten – jederzeit durchsetzen und, so lange sie das wollen, jede Siedlungsaktivität stoppen. Auf einem anderen Planeten ist das ungleich schwieriger, sicherlich heute, aber auch in absehbarer Zukunft. Eine Siedlung auf dem Mars, die keine Bereitschaft zeigt, sich den Wünschen der Staaten auf der Erde zu beugen, kann nicht einfach mit einem schnell entsandten Kriegsschiff eingeschüchtert werden. Auch wenn US-Präsident Donald Trump gerne von der „Space Force“ schwadroniert, gibt es keine Kriegsschiffe für den Weltraum. Selbst wenn wir technisch soweit sind, Siedlungen auf dem Mars zu bauen, werden Raumfahrzeuge immer noch fragil, komplex und möglichst leicht sein – kein gutes Design für ein Kriegsschiff. Dazu kommt, dass die Reisezeiten zum Mars sehr viel länger sind, ohne die Möglichkeit zur „Tarnung“ wie sie das Meer bietet (z.B., U-Boote).

Worauf ich hinaus will: eine hypothetische Siedlung auf einem anderen Planeten ist sehr viel weiter von der etablierten politischen Ordnung auf der Erde entfernt als eine hypothetische Siedlung in der Antarktis. Die Oberflächen anderer Welten sind auch nicht reguliert und einem internationalen Vertragswerk unterworfen, das die Besiedlung verbietet (der Weltraum-Vertrag etwa verbietet grundsätzlich die Besiedlung anderer Welten nicht, so lange sie nicht zu territorialen Ansprüchen führt). Das muss aber natürlich nicht so bleiben: es ist gut denkbar dass, wenn der Mars erst durch neue wiederverwendbare Technologien in Reichweite rückt, neue internationale Verträge ausgearbeitet werden, um den Zugang zu seiner Oberfläche zu regulieren – ja vielleicht sogar jegliche Besiedlung (abseits von ein paar wissenschaftlichen Aussenposten) ganz unterbinden. Ein solches Szenario wurde vor Jahren bereits von Brian Aldiss & Roger Penrose in „Weisser Mars“ ausgearbeitet. Denkbar ist eine solche Entwicklung vor allem dann, wenn auf dem Mars dereinst einheimisches Leben gefunden wird. Anderseits halte ich es auch für gut möglich, dass es nie zu einem solchen „Mars-Vertrag“ nach dem Vorbild des Antarktis-Vertrags kommen wird: im Gegensatz zur Antarktis sind Rohstoffe vom Mars für die Erde nicht interessant – sie wären im Vergleich zu irdischen Rohstoffen (oder sogar solchen von erdnahen Asteroiden!) viel zu teuer. Und alle territorialen Ansprüche haben irdische Staaten schon mit dem Weltraum-Vertrag aufgegeben. Wo aber kein wirtschaftliches, militärisches oder territoriales Interesse vorliegt, muss auch nichts reguliert werden. Gut möglich, dass genau dieser Umstand dereinst eine unabhängige Zivilisation auf dem Mars möglich machen wird.

4 Kommentare

  1. „und wurde deshalb vor der Entdeckung durch die Europäer nie – zumindest, soweit wir das wissen – von Menschen besucht.“

    So ganz klar ist das nicht – der polynesische Häuptling Ui-te Rangiora von der Insel Rarotonga hat möglicherweise um das Jahr 650 herum eine Expedition ins Südmeer angeführt, bei der er der Überlieferung nach bis in eine kalte Region gekommen sein soll, wo „Felsen aus dem Meer ragen“ (womit eventuell Eisberge gemeint sein könnten). https://de.wikipedia.org/wiki/Ui-te-Rangiora und https://en.wikipedia.org/wiki/Ui-te-Rangiora

    Es gibt außerdem Vermutungen, das feuerländische Indianer (Yahgan, Alakaluf) auf der Robbenjagd durch Stürme mit ihren Kanus an die Küste der Antarktischen Halbinsel verschlagen worden sein könnten.

    • Es ist schon eine Weile her, seit du diesen Kommentar geschrieben hast… Trotzdem, ich hatte ja geschrieben: „soweit wir das wissen“. Meines Wissens gibt es keine gesicherten Belege für solche früheren Besuche, wie z.B. Artefakte auf der antarktischen Halbinsel. Was wir „soweit“ wissen kann sich natürlich jederzeit – gerade z.B. durch die Entdeckung solcher Artefakte – ändern.

  2. Ich war 2 Jahre nicht mehr hier auf dem Blog und möchte einfach meine Freude darüber kundtun, wie schön es ist hier wieder viele spannende (und neue!) Artikel lesen zu können. Danke dafür und bitte weiter so!

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