Dunkle Materie im Labor gemessen?

Es wäre eines der bemerkenswertesten Experimente der letzten Jahrzehnte, sollten sich die Ergebnisse bestätigen: Italienische Forscher haben möglicherweise die Effekte von Teilchen Dunkler Materie im Labor gemessen.

Der Bullet Cluster
Der Bullet Cluster
Die Dunkle Materie ist nun schon seit Jahrzehnten ein Rätsel. Schon der Schweizer Astronom Fritz Zwicky bemerkte 1933, dass sich die Bewegung von Galaxien in Galaxienhaufen nur dann beschreiben lässt, wenn man annimmt, dass neben der „hellen“ Materie in Form von Sternen und Gaswolken in diesem Galaxienhaufen noch sehr viel mehr Masse in „dunkler“ (nicht beobachtbarer) Form vorliegen muss. Ähnliches wurde in unserer eigenen Galaxie, der Milchstrasse beobachtet: die Geschwindigkeit, mit der die Sterne das Zentrum der Milchstrasse umkreisen, fällt nicht mit dem Verhältnis zum Abstand ab, das man gemäss Newtons Gravitationstheorie aus der beobachteten Verteilung leuchtender Materie erwarten würde. Die Sterne in den Aussenbezirken der Galaxis kreisen sehr viel schneller um das Zentrum, als sie „dürften“. Auch hier lässt sich die Beobachtung erklären, wenn man annimmt, dass zusätzlich zu Sternen und Gasnebeln eine grosse Menge dunkler Materie um das Zentrum kreist und die totale Masse der Milchstrasse erhöht.

Erklärungsansätze gibt es viele. Zunächst einmal ist es wichtig, sich darüber klar zu werden, dass „Dunkle Materie“ nicht einfach aus einem einzigen speziellen, unbekannten Teilchen oder einer geheimnisvollen Wechselwirkung besteht. Vielmehr ist sie ein Sammelbegriff für eine Vielzahl von Objekten und Phänomenen. Zu der „baryonischen“ dunklen Materie (also solcher, welche aus ganz gewöhnlichen Atomen besteht) zählen nicht-leuchtende Objekte wie kalte Braune Zwerge (eine Zwischenstufe zwischen den kleinsten Sternen und den grössten Planeten) und „freifliegende“ Planeten und Asteroiden. Aber auch Schwarze Löcher ohne strahlende Akkretionsscheiben könnten sich praktisch unbemerkt in den Tiefen des Raums verstecken, einige davon könnten sogar „primordial“ sein, also aus der Zeit des Urknalls stammen. Zu der „nichtbaryonischen“ dunklen Materie zählen hingegen ultraleichte Teilchen wie Neutrinos und Axionen (deren Existenz nicht wirklich gesichert ist), aber auch hypothetische „WIMPs“, „Weakly Interacting Massive Particles“ (Schwach Wechselwirkende Massive Teilchen), Teilchen, welche zwar eine relativ hohe Masse haben, aber ausser über die Gravitation (Schwerkraft) kaum mit dem Rest des Universums wechselwirken (sie könnten z.B. keine Ladung tragen und sich auch sonst nicht von Licht beeinflussen lassen, das heisst, sie wären komplett „durchsichtig“). Man vermutet, dass diese nichtbaryonische Materie den grössten Teil der dunklen Materie ausmacht. Schliesslich gibt es noch eine ganze Reihe von Erklärungsansätzen, die ohne bisher unbekannte Elementarteilchen auskommen und allein darauf basieren, dass die Gravitation sich auf grosse Distanzen oder bei schwachen Beschleunigungen anders verhält als wir dies von Newton oder Einstein kennen – diese Ansätze laufen also auf eine „neue Physik“ hinaus. Mittlerweile scheint aber auch klar, dass diese Erklärungsansätze (unter ihren Bezeichnungen „MOND“, „MOG“ oder „STVG“ bekannt) offenbar zumindest eine gewisse Menge von dunkler Materie brauchen, um mit allen bisherigen Beobachtungen (z.B. Galaxien ohne dunkle Materie, spezielle Objekte wie den „Bullet Cluster“ (siehe Bild), etc.) verträglich zu sein.

Das gemessene Signal
Das gemessene Signal
Bei der nun gemeldeten Beobachtung der italienischen Forscher handelt es sich nun um einen ersten wirklich konkreten Hinweis auf WIMPs. In einem speziellen Detektor beobachteten sie, wie Natrium- und Iod-Ionen einen Blitz abgeben, wenn sie von einem schweren Teilchen getroffen werden. Tief im Boden vergraben, ist der Detektor vor der herkömmlichen kosmischen Strahlung (wie sie etwa in einer Nebelkammer visualisiert werden kann) geschützt. Allfällige „WIMPs“ durchdringen aber das Gestein mühelos, eben weil sie „weakly interacting“ (schwach wechselwirkend) sind. Natürlich gibt es noch immer eine grosse Menge von Störquellen, und ein kleiner Teil der kosmischen Strahlung kommt trotzdem durch. Diese Störquellen sollten aber über längere Zeiträume in etwa konstant bleiben, also eine Art stetiges Hintergrundrauschen ergeben. Was nun aber beobachtet wurde, ist, dass die Anzahl der Blitze, die im Detektor registriert werden, über den Verlauf eines Jahres periodisch schwankt. Anfang Juni ereignen sich deutlich mehr Blitze, Anfang Dezember deutlich weniger (diese Beobachtung an sich ist nun mittlerweile so oft bestätigt worden, dass daran niemand mehr zweifelt). Dieser Umstand ist es, welcher die Forscher in Aufregung versetzt. Warum?

Auf ihrer Bahn um das Zentrum der Galaxis bewegt sich die Sonne zusammen mit ihrem ganzen Planetensystem mit einer Geschwindigkeit von rund 200 km/s und braucht damit rund 250 Millionen Jahre, um das Zentrum einmal zu umrunden. Während dieser Bewegung eilen die Planeten um sie herum, wobei sie sich dabei für eine gewisse Zeit in „Flugrichtung“ (die Richtung, in die sich die Sonne bewegt) bewegen und danach, eine halbe Umrundung später, wieder in „Gegenrichtung“ zur allgemeinen Bewegung der Sonne. Wenn man nun annimmt, dass es eine grosse, sphärische Wolke von „WIMPs“ gibt, die sich mehr oder weniger mit der Geschwindigkeit der Sonne um das Zentrum der Galaxis bewegt, dann stösst die Erde während der Zeit, in der sie sich in „Flugrichtung“ („nach vorne“) bewegt, mit mehr WIMPs zusammen als in der Zeit, in der sie sich in „Gegenrichtung“ („nach hinten“) bewegt. Die Erde bewegt sich nun genau Anfang Juni in „Flugrichtung“ (sollte also dann auf die meisten WIMPs treffen), wenn die meisten Blitze im Detektor beobachtet werden. Anfang Dezember, wenn die wenigsten Blitze beobachtet werden, bewegt sie sich hingegen in „Gegenflugrichtung“ (sollte dann also auf die wenigsten WIMPs treffen). Offensichtlich passen die Anzahl Begegnungen, die man mit WIMPs anhand der Bewegung der Erde um die Sonne erwartet, gut zur Beobachtung der Anzahl Blitze im Detektor. Die Vermutung, so die italienischen Forscher, liegt also nahe, dass die Blitze von WIMPs verursacht werden, welche mit den Ionen im Detektor frontal zusammenstossen und diese so zur Abgabe eines Lichtblitzes animieren.

Doch nicht alle Wissenschaftler auf dem Gebiet sind mit dieser Interpretation einverstanden. Einig ist man sich nur darin, dass der Detektor eine reale Variation zeigt – aber wodurch diese Verursacht wird, ist umstritten. Einige vermuten saisonale Schwankungen (z.B. Temperatur) als Ursache (ob diese allerdings eine derart regelmässige Schwankung hervorrufen könnten, ist unklar). Andere weisen darauf hin, dass auch andere, ähnlich aufgebaute Experimente die beschriebene Variation hätten sehen müssen – aber nicht haben. Die angegebene Masse der WIMPs liegt zudem im unteren Bereich des vorhergesagten Massebereichs für WIMPs – was zumindest darauf hindeutet, dass man sehr viele von ihnen brauchen wird, um damit die Phänomene, die man der Dunklen Materie zuschreibt, vollständig zu erklären.

Sollte sich diese Beobachtung schliesslich bestätigen, ist den involvierten Wissenschaftlern der Physik-Nobelpreis so gut wie sicher. Es wäre das erste Mal, dass jemand einen Blick auf die geheimnissvollen Teilchen der dunklen Materie werfen könnte. Die Eigenschaften dieser Teilchen, für sich genommen und im Vergleich mit anderen, bereits heute bekannten, könnte den Weg weisen zu einer künftigen Vereinigung aller Naturkräfte.

6 Kommentare

  1. Nein, es hat nichts mit der Erdachsenneigung zu tun. Die Erdachse zeigt ja immer in die gleiche Richtung. Der Punkt ist, dass das Signal am stärksten ist, wenn sich die Geschwindigkeiten der Bewegung der Erde um die Sonne und der Sonne um die Milchstrasse maximal addieren, und am schwächsten, wenn sie sich minimal addieren. Da dies aber zufällig mit den Jahreszeiten der Erde zusammenfällt, muss man aufpassen, dass einem ein allfälliger \“lokaler\“ Effekt nicht die Statistik verhagelt. Darin liegt – momentan noch – das Problem.

  2. Wenn das aber einfach nur Jahreszeit entsprechend ist(Erdaxenneigung),dann war der Ansatz falsch, sondern reines Ergebnis der Sonnenemission.

  3. Entdeckung am IRQP/IRQF:
    Das Magnetfeld bzw. der magnetische Strömungsmantel oder die magnetische Wirbelströmung ist aus den kleinsten Teilchen im Kosmos, den Raum Quanten bzw. aus dunkler Materie, aufgebaut.
    Siehe auch: Das neue Bild vom Magnetismus nach Oliver Crane (1992)

  4. Deshalb schrieb ich ja, \“mit mehr oder weniger der gleichen Geschwindigkeit\“ – gemeint ist, dass die Geschwindigkeit von WIMP-Wolke und Sonne um einen geringen Betrag abweicht (ich sehe gerade, dass das so wie ich das geschrieben habe irreführend sein kann): man muss annehmen, dass der Sonne ein WIMP-Gegenwind entgegenweht (bzw., dass sie WIMP-Rückenwind hat, was auf das gleiche rauskommt), und je nach dem, wie sich die Erde relativ zu diesem Wind bewegt, sieht man das WIMP-Signal stärker oder schwächer. Nur, wenn WIMP-Wolke und Sonne exakt die gleiche Geschwindigkeit haben, verschwindet es.

  5. Würde sich die WIMPs-wolke ungefähr mit der Sonne mitbewegen, so würde die Erde auf ihrer Umrundung um die Sonne in Gegenflugrichtung gleich viele Teile treffen wie in Flugrichtung. Die Geschwindigkeit der Erde relativ zur WIMPs-Wolke währe in Gegen-, und Flugrichtung die gleiche.

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