Wahre Helden der Wissenschaft

Heute startet die NASA die vierte und letzte Reparaturmission zum Hubble-Weltraumteleskop. Das ist nicht ohne Risiken – sieben Astronauten setzen ihr Leben dafür ein, dass eines der wichtigsten wissenschaftlichen Instrumente der Geschichte für ein weiteres Jahrzehnt funktioniert.

Die Wissenschaft bietet sonst eigentlich nicht viel Platz für Heldentum. Sicher, es mag manchmal mutig sein, sich mit einer gewagten Hypothese vernichtenden Kritiken von anderen Wissenschaftlern auszusetzen, aber am Ende sitzen in den meisten Fällen ja doch alle Beteiligten wieder friedlich und gut gelaunt bei einem Bier zusammen. Wissenschaft findet nur allzu oft in einer sicheren Umgebung statt – kaum jemand muss für den Erkenntnisgewinn sein Leben aufs Spiel setzen.

Aber eben nicht immer. Heute startet in Cape Canaveral, Florida, die Raummission STS-125, welche das Space Shuttle „Atlantis“ zum Weltraumteleskop Hubble bringt. Das Hubble leistet seit 1990 ausgezeichnete Dienst: Ausserhalb der störenden Turbulenzen der Atmosphäre bietet es einen einmaligen Blick auf das Universum und seine Geschichte. Ihm verdanken wir die Beobachtung von fernen Galaxien und Sternexplosionen, die Erkenntnis, dass sich das Universum beschleunigt ausdehnt, die ersten Bilder von Planeten, die andere Sterne umkreisen, und so vieles mehr. Das Hubble-Weltraumteleskop hat unser Wissen über das Universum gewaltig erweitert.

Doch wie jede Technologie ist es fehleranfällig: besonders kritisch sind die sogenannten Gyroskope, Kreiselstabilisatoren, mit denen sich Hubble am Himmel orientiert und ausrichtet (ohne Kreiselstabilisatoren wäre jede Richtungsänderung mit dem Verbrauch von Treibstoff verbunden, so dass das Teleskop nur vergleichsweise kurze Zeit überhaupt beobachten könnte). Ausserdem entwickelt sich die Technologie weiter: Das Hubble von heute ist nicht mehr jenes von 1990. Bei jedem Besuch – bisher waren es drei (bei einem, STS-61 im Jahr 1993, war auch der Schweizer Astronaut Claude Nicollier beteiligt), und jedes Mal wurden Kamera, Teile der Elektronik, die Solarpaneele auf den neusten Stand gebracht, manchmal neue Geräte und Instrumente hinzugefügt. Auch dieses Mal, mit STS-125, soll Hubble nicht nur repariert und mit neuen Kreiselstabilisatoren ausgerüstet werden, es wird auch erweitert, verbessert und auf den neusten technischen Stand gebracht.

Bemannte Raumfahrt war schon immer gefährlich, und es gab nie eine Garantie für sichere Rückkehr – doch beim Space Shuttle gilt dies noch in verstärktem Masse: In 125 Raummissionen gab es zwei Totalverluste: Die „Challenger“ 1986 sowie die „Columbia“ 2003. Man weiss, dass die ganze Konzeption des Shuttles einen schweren Fehler hat: Der Orbiter, also jener flugzeugähnliche Teil, der am Ende wieder auf der Erde landet, ist seitlich an den braunen Haupttank angeschnallt, von dem sich Stücke der Schaumstoffisolierung lösen und dabei den lebenswichtigen Hitzeschutzschild des Shuttles beschädigen können. Dagegen lässt sich prinzipiell nichts machen, das ganze System ist viel zu komplex, als dass da in kurzer Zeit eine bessere Lösung hätte gefunden werden können. Alles, was die NASA tun konnte, war, Kameras anzubringen, die während des feurigen Ritts ins All verfolgen, ob und wieviele Stücke sich lösen. Ausserdem erkunden Astronauten im Weltraum dann mit dem kamerabestückten, ferngesteuerten Roboterarm die Unterseite des Orbiters nach allfälligen Schäden. Als dritte Sicherheitsmassnahme wollte die NASA nur noch Missionen ins All schicken, die die internationale Raumstation ISS erreichen können, so dass diese im Fall einer kritischen Beschädigung des Orbiters als „sicherer Hafen“ dienen kann.

Doch im Fall von Hubble ist das nicht möglich. Das Teleskop kreist anderthalb Mal so hoch wie die ISS um die Erde, zudem noch auf einer völlig anderen Bahn (die Bahn der ISS ist um rund 56 Grad zum Äquator geneigt, damit sie von russischen Raketen, die die Hauptversorgungslast der Station tragen, gut erreicht werden kann). Der Orbiter kann gar nicht genug Treibstoff mitführen, um das Hubble UND die ISS zu erreichen – die Astronauten wären also völlig auf sich allein gestellt.

Die NASA hat nun ein zweites Space Shuttle vorbereitet, die Mission STS-400 mit dem Orbiter „Endeavour“, von der alle hoffen, dass sie nie starten wird. STS-400 ist nämlich als Rettungsmission konzipiert, sollte der Hitzeschild der Atlantis beim Start heute kritisch beschädigt werden. In diesem Fall würde die Endeavour innert weniger Tage auf die gleiche Bahn starten und die sieben Astronauten der „Atlantis“ würden per Raumanzug in die „Endeavour“ überwechseln – die Atlantis würde danach per Fernsteuerung im Pazifik versenkt.

Sieben Astronauten der „Atlantis“, oder, wenn man die vier Astronauten der „Endeavour“ mitzählt, insgesamt elf Menschen riskieren also ihr Leben – für ein Weltraumteleskop, für „brotlosen“ Erkenntnisgewinn, für Wissen das, geht es nach den einschlägigen Kritikern, „keinerlei Alltagsrelevanz“ hat. Doch diese elf Menschen wissen um diese Gefahr, und akzeptieren sie. Niemand wurde gezwungen, auf diese Mission mitzugehen. Sie alle wissen, wie wichtig Forschung, Erkenntnisgewinn, die aktive Suche nach Antworten, die wir uns irgendwann alle stellen (Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Wie funktioniert die Welt? Was ist unser Platz darin?), sind. Sie besteigen heute dieses unsichere Raumschiff im festen Glauben, sich für eine Sache einzusetzen, die grösser und wichtiger ist als sie selber. Das ist es, was wahre Helden auszeichnet.

Alles Gute, Atlantis!

STS-125:

Scott D. Altman – Commander

Gregory C. Johnson – Pilot

Michael T. Good – Mission Specialist 1

K. Megan McArthur – Mission Specialist 2

John M. Grunsfeld – Mission Specialist 3

Michael J. Massimino – Mission Specialist 4

Andrew J. Feustel – Mission Specialist 5

STS-400:

Christopher Ferguson – Commander

Eric A. Boe – Pilot

Robert S. Kimbrough – Mission Specialist 1

Stephen G. Bowen – Mission Specialist 2

5 Kommentare

  1. Schöner Artikel! Ich hatte mich schon öfter gefragt ob es
    Möglichkeiten gibt Astronauten wieder zurück zu holen falls
    es Schwierigkeiten gibt.

  2. Update: Die Raumfähre Atlantis ist ohne weitere Probleme gestartet. Soweit ich das NASA-Video des Aufstiegs beurteilen kann, haben sich keine grösseren Stücke vom Tank gelöst.

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