Ted Nield – Incoming!

Oder: Warum wir aufhören sollten, uns um Meteoriten Sorgen zu machen, und stattdessen lernen sollten, sie zu lieben… Eine Buchbesprechung.

Ted Nield ist ein promovierter Geologe, der seinen Job an den Nagel gehängt hat und sich seither der Vermittlung spannender geologischer Themen verschrieben hat. Sein erstes Buch, „Supercontinent“, war dann auch – zumindest im englischen Sprachraum – ein grosser Erfolg. Nun hat er ein zweites geschrieben, „Incoming!“, und da es sich mit einem Thema beschäftigt, das ich von meiner eigenen Forschungsarbeit sehr gut kenne, möchte ich das Buch hier vorstellen.

Es ist zunächst einmal gar nicht einfach zu sagen, womit sich das Buch genau befasst, doch das stört im Grossen und Ganzen nicht – denn im letzten Teil, ja im letzten Kapitel fügt sich alles zusammen.

Im ersten Teil ist es zunächst einmal ein Buch über Meteoriten, der Rolle, die sie in der Geschichte gespielt haben, und wie nach und nach ihre wahre Natur zum Vorschein kam. Es ist sehr witzig und interessant zu lesen, wie das römische Imperium unter Imperator Elagabalus für einige Jahre offiziell einen Meteoriten angebetet hat… Oder, wie über ein Jahrtausend später der Meteorit, der in Ensisheim niederging, auf Anweisung des deutschen Kaisers Maximilian in der Kirche von Ensisheim angekettet wurde, um ihn daran zu hindern, wieder wegzufliegen… Ted Nield erzählt, wie die Gelehrten der frühen Neuzeit nicht glauben konnten, was die dummen Bauern vom Land (auf deren Boden Meteoriten meist niedergingen) erzählten – Steine, das weiss doch jeder, fallen nicht vom Himmel! Mit der französischen Revolution änderte sich das, die Berichte wurden nun ernstgenommen, doch die Forscher jener Zeit erklärten die Meteoriten entweder für vulkanische Auswürflinge, oder vermuteten, dass sie durch Blitzschlag in der Atmosphäre entstanden. Denn im Raum zwischen den Planeten, das hatte schliesslich schon Newton gewusst, war kein Platz für herumfliegende Steine! Erst der herumreisende, etwas exzentrische Forscher Ernst Chladni formulierte als erster die These, dass Meteoriten aus dem Weltraum stammen. Ted Nield zeigt dann, wo die Meteoritenforschung heute steht, wie sich die Herkunft der Meteoriten auf bestimmte Asteroiden, und Asteroidenfamilien zurückführen lässt, und wie es dazu kommt, dass überhaupt Meteoriten ihren Weg auf die Erde finden.

Im zweiten Teil des Buches schwenkt Ted Nield um – auf ein anderes, wenn auch verwandtes Thema: Das Aussterben der Dinosaurier am Ende der Kreidezeit, und die Geschichte der Entdeckung der „Iridium-Anomlie“, einer Gesteinsschicht mit erhöhter Konzentration des seltenen Elements Iridium, die in jener Zeit abgelagert wurde und die als bester Beleg dafür gilt, dass ein Asteroideneinschlag zum Aussterben der Saurier geführt hat. Er erzählt, wie Vater Luis Alvarez (ein ebenso streitbarer wie brillianter Physiker und Nobelpreisträger, der zuvor an der Entwicklung der Wasserstoffbombe mitgewirkt hatte) und Sohn Walter Alvarez (ein Geologe, der eigentlich nach etwas ganz anderem suchte) mit ihrer „Impakt-Theorie“ auf den Widerstand der Geologen trafen, wie der Chicxulubkrater entdeckt wurde, wie sich diese neue Weltsicht so konsequent durchsetzte, dass heutige Geologen wie Gerta Keller, die die Rolle von Chicxulub beim Massenaussterben in Frage stellen, plötzlich ihrerseits einen schweren Stand haben.

Im dritten Teil geht es schliesslich um die faszinierende Entdeckung von fossilen („versteinerten“) Meteoriten in Sedimentgesteinen des Ordoviziums. Da diese fossilen Meteoriten unter anderen ein Grund dafür sind, dass ich zur Zeit in Schweden arbeite, werde ich darüber auf dieser Seite gerne einmal in aller Ausführlichkeit berichten. Es hat mich allerdings sehr gefreut zu sehen, dass Ted  Nield die komplexen Fakten in praktisch allen Details äussert korrekt darstellt. Vor 472 Millionen Jahren (in einem Zeitalter, das auf der Erde Ordovizium genannt wird) stiessen im Asteroidengürtel zwei Asteroiden zusammen – dies führte innerhalb der darauf folgenden paar Millionen Jahre zu einer mehr als hundertfachen Erhöhung der Anzahl Meteoriten, die zur Erde fielen. Einige dieser Meteoriten blieben in Sedimentgesteinen jener Zeit erhalten und „versteinerten“, das heisst, fast all ihre Minerale wurden komplett durch neue ersetzt. Weiter sind eine grosse Anzahl Meteoritenkrater mit genau diesem Alter (ca. 450-470 Mio Jahre) gefunden worden, mehr als in den Zeiten zuvor und danach. Doch das erstaunliche ist: sieht man sich die Biodiversität jener Zeit an, fällt sofort auf: exakt mit dem Beginn des Meteoritenregens beginnt auch eine der spektakulärsten Entwicklungsphasen des Lebens. Eine grosse Anzahl neuer Arten und Familien tauchen auf, in Anzahl und Umfang, der später nie mehr so übertroffen wird. Wie verträgt sich diese Ansicht mit der Vorstellung, Meteoriten- und Asteroideneinschläge seien immer nur negativ zu werten?

Ted Nields Antwort ist so überraschend wie einleuchtend. Das Leben, die Natur, ist nicht monokausal. Es sind die Umstände, die entscheiden, wie eine bestimmte Störung auf das Ökosystem wirkt. Er illustriert dies sehr schön an verschiedenen Pflanzenarten, die – in den Erinnerungen an seine Kindheit – ein brachliegendes Stück Land zurückerobern – mit unterschiedlichsten Strategien, unterschiedlichem Erfolg, und unterschiedlicher Reaktion auf äusseren Stress (wie Buschfeuer oder Bauarbeiten). Unter dieser übergreifenden Idee fügen sich nun plötzlich alle drei Teile des Buches zu einem grossen Ganzen: Meteoriten- oder Asteroideneinschläge sind weder generell schlecht, noch generell gut – in einem komplexen System wie der Biosphäre haben viele Dinge unterschiedlichste Ursachen. Während Vater und Sohn Alvarez sicher recht hatten damit, dass der Meteoriteneinschlag am Ende der Kreidezeit eine wichtige Rolle beim Aussterben der Dinosaurier spielte, war es mit Sicherheit nicht die alleinige Ursache – was nur schon dadurch illustriert wird, dass zu einer ganz anderen Zeit genau solche Einschläge eine positive Wirkung auf die Entwicklung des Lebens hatten. Viele Faktoren spielen eine Rolle, und wenn sich gewisse Faktoren in einer gewissen Art und Weise aufschaukeln, können sich die überraschendsten Wirkungen entfalten.

Tatsächlich spielt sich ein grosser Teil dieses Zusammenfügens der drei Teile bei mir im Kopf ab: ich kenne diese Themen, und ich glaube deshalb zu verstehen, was Ted Nield sagen will. Trotzdem hätte ich mir für das letzte Kapitel ein grösseres „Aufräumen“ gewünscht,  denn auch nach dem letzten Kapitel bleibt ein gewisser Eindruck bestehen, ein Buch über drei Themen gelesen zu haben. Der Qualität des Buches tut das allerdings keinen Abbruch: es war spannend und gut geschrieben, bis zur letzten Seite.

Schade ist, dass dieses Buch zur Zeit nur in englisch erhältlich ist, und angesichts dessen, dass Ted Nields erstes Buch trotz Erfolg nicht übersetzt wurde, lässt mich vermuten, dass auch dieses Buch wohl nicht übersetzt werden wird. Wen das nicht abschreckt, dem kann ich dieses Buch nur empfehlen.

7 Kommentare

  1. Hallo Bynaus,

    immer wenn ich die Zeit hab, lese ich ein zwei der älteren Artikel. Sind wirklich interessante Sachen dabei und ich werde so noch ne ganze Weile zu tun haben. Nun zum Anliegen: Leider ist der Artikel „Kernfusion – Für immer eine Zukunftstechnologie?“ vom 4.8.06 bis auf die Überschrift und den Kommentarstrang nicht existent. Da bisher alles vollständig war, glaube ich nicht, dass der Fehler bei mir liegt. Vielleicht kannst du das reparieren.
    (und diesen Post kannst du dann auch wieder löschen)

    Vielen Dank, OS

    • Vielen Dank für den Hinweis. Mir wurde noch ein anderer fehlender Artikel gemeldet, nun sinds also zwei. Ich muss der Sache auf den Grund gehen, offenbar hat das Übertragungsskript nicht einwandfrei funktioniert.

  2. Ich denke, dass die menschliche Hochzivilisation ohnehin ein extrem unwahrscheinliches Ereignis war, dh, es könnten – neben Chicxulub – noch eine ganze Reihe anderer Dinge eine Rolle gespielt haben – oder nicht. Das ist halt extrem schwierig zu sagen.

    Die Zeit, die die Erde noch bewohnbar bleiben soll, schwankt stark, je nach Autor sind es 200 bis 1000 Mio Jahre. Aber es gibt keine Garantie, dass nicht schon vorher plötzlich irgendetwas aus dem Ruder läuft: die Erde ist ein dynamisches System – Überraschungen sind quasi einprogrammiert. Ich würde deshalb auch keineswegs sagen, dass die Dinosaurier weiterexistiert hätten – vielleicht schon, vielleicht aber wären sie nur wenige Millionen Jahre später durch eine andere Entwicklung ausgerottet worden, worauf sich, vielleicht, die Vögel statt der Säuger zur global dominierenden Tiergruppe entwickelt hätten – usw.

    Das Ende der Erde in der Sonne (in ca. 7 Mrd Jahren) steht ebenfalls nicht wirklich fest, dazu gibt es unterschiedlichste Ansichten. Einig sind sich die Leute, die diese Modelle machen, nur darin, dass Merkur verschluckt wird und Mars überlebt.

    Hellas und Argryre sind so grosse Einschläge, dass es wahrscheinlich ist, dass sie sehr alt sind, also aus der Frühzeit des Sonnensystems oder aus dem späten schweren Bombardement vor 3.9 Mrd Jahren. Ich glaube, das wurde auch so durch Kraterzählungen auf dem Boden der Einschlagsbecken bestätigt. Dass Phobos und Deimos so entstehen können, denke ich eher nicht, will es aber auch nicht kategorisch ausschliessen.

  3. Ich denke, dass man vielleicht in der Zukunft einmal zu dem endgültigen Schluß kommen wird, dass solche Ereignisse, also Meteoritenenschläge o. ä., die entscheidenden Ereignisse in der Evolution des Lebens auf der Erde waren. Ich denke, dass es ohne einen Einschlag (Chicxulub) am Ende der Kreidezeit keine menschliche Hochzivilisation bis zum Ende der Bewohnbarkeit der Erde geben würde. Wenn ich mich recht entsinne, wird bedingt durch die Kernfusionsprozesse im Inneren der Sonne die Erde in 500-800 Mill. Jahren ja recht ungemütlich und unbewohnbar werden (augenblickliche habitable Zone: 0,95 bis 1,37 AE), bis sie in ca. 4-5 Milliarden Jahren vollständig in der Sonne aufgeht. Es ist zu vermuten, dass die Dinosaurier, die schon 200 Mill. Jahren den Planeten beherrschten, wahrscheinlich bis zum Ende der Bewohnbarkeit weiter die Erde dominiert hätten. Wir sollten also für den Chicxulub-Einschlag sehr dankbar sein. 🙂

    Vermutlich kann man diese Bedeutung von Einschlägen sogar auf andere Planeten ausdehnen. Betrachtet man den Mars, so gab es dort in der Vergangenheit zwei wesentliche Impaktereignisse (Hellas-Tiefebene etc.) in deren Verlauf vielleicht Phobos und Deimos entstanden sind, sowie die Oberfläche des Planeten weitgehend umgestaltet wurde …

  4. Das Thema „Panspermie“ ist im allgemeinen sehr interessant und gibt mögliche Antworten auf die Frage nach dem Ursprung des Lebens. Sollte ein Meteorit / Asteroid auf unsere mittlerweile relativ dicht besiedelte Erde einschlagen, haben wir trotzdem ein Problem 😉

    • Panspermie wird im Buch kurz angesprochen, hat jedoch nach alller Wahrscheinlichkeit nichts direkt mit dem Anstieg der Biodiversität im Ordovizium zu tun. Der Meteoritentyp, der damals fiel (sogenannte L chondriten) war nicht mal besonders reich an organischen Materialien. Meteoriten fallen ständig auf die Erde, ohne irgendwelche Probleme zu verursachen – so ist wohl noch nie ein Mensch nachweislich durch einen Meteoriten ums Leben gekommen. Bei Asteroideneinschlägen einer bestimmten Grösse sähe das anders aus, aber die Chancen dafür sind sehr, sehr klein – in etwa so gross wie „Tod durch Feuerwerk“, wie Nield im Buch sehr bezeichnend schreibt.

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