Später, teurer, kleiner: scheitert das SLS?

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Eine künstlerische Darstellung der Block-1-Version des SLS. Die Rakete soll 2020 zum ersten Mal starten. (Quelle: NASA)

Es klang so einfach, damals, 2010, ein Jahr bevor der Space Shuttle das letzte Mal landete: man nehme einige Komponenten aus dem Space Shuttle Programm, etwa den orangefarbenen Tank, die seitlichen Feststoff-Booster, und die Triebwerke des Orbiters, und bastle daraus die grösste Schwerlast-Rakete der Welt. SLS wurde diese Rakete getauft, was für „Space Launch System“ steht.

Mit dem SLS wollten die USA gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: einerseits konnten die zehntausenden Angestellten des Space Shuttle Programms ihre Arbeit behalten (ein wichtiges politisches Zugeständnis), anderseits wären die USA mit dem SLS zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder in der Lage, Menschen zu Zielen jenseits der Erdumlaufbahn zu befördern. Denn zusätzlich zum SLS bewilligte der US-Kongress auch Gelder für die Entwicklung einer grossen Raumkapsel (später Orion genannt), die auf der Spitze des SLS gestartet wird und so bis zu vier Astronauten in eine Mondumlaufbahn bringen kann.

Man einigte sich auf drei Versionen: Block 1 bestand nur aus dem Shuttle-Tank, den Shuttle-Boostern, und hatte eine kleine Oberstufe (die ICPS), die sonst auf der Delta IV Rakete von Boeing zum Einsatz kam. Diese Variante des SLS kann etwa 95 Tonnen in die Erdumlaufbahn befördern, oder eine Orion-Kapsel um den Mond schicken. Block 1 sollte nur einmal fliegen, um die Orion ohne Besatzung zu testen (ursprünglich für November 2017 geplant). SLS Block 1B sollte dann eine neue, grössere Oberstufe bekommen, die EUS („Exploration Upper Stage“). Diese Variante soll bis zu 105 Tonnen in die Erdumlaufbahn bringen, oder, in den frühen 2020er Jahren, eine Orion-Kapsel mit vier Astronauten und Fracht in eine Mondumlaufbahn bringen. Schliesslich sollte gegen Ende der 2020er Jahre Block 2 folgen, der mit stärkeren Boostern bis zu 130 Tonnen in die Erdumlaufbahn bringen könnte.

Die Kosten für das Projekt (bis zum ersten Start der Rakete) wurden ursprünglich (2011) auf ca. 18 Milliarden US$ beziffert, wovon 10 auf das SLS entfielen, 6 auf die Orion, und 2 auf nötige Anpassungen bei den Startrampen in Cape Canaveral. Doch das sieht heute ganz anders aus: nicht nur wurde der erste Flug der Block 1-Variante um mittlerweile drei Jahre auf Juni 2020 (oder später) verschoben, auch die Entwicklung der EUS wurde vor ein paar Wochen praktisch eingestellt. Der Plan ist nun, dass Block 1 länger fliegen soll als ursprünglich geplant – mindestens drei Flüge sollen damit durchgeführt werden, darunter der erste Flug der Orion mit Astronauten. Wann genau die Entwicklung der EUS und damit den Blöcken 1B und 2 weitergeführt wird – ob überhaupt? – soll zu einem späteren Zeitpunkt entschieden werden.

Die Verzögerungen und die längere Nutzung der kleineren, einfacheren Variante der Rakete haben das Projekt aber nicht etwa günstiger gemacht: die NASA hat mittlerweile fast 12 Milliarden US$ allein für das SLS ausgegeben. Ein soeben erschienener Bericht des OIG (Office of the Inspector General), einem internen Überwacher der NASA, kommt zum Schluss, dass weitere 1.2 Milliarden US$ nötig sind, um nur schon die allererste SLS Rakete zu bauen. Auch die Orion-Kapsel hat mittlerweile über 12 Milliarden US$ verschlungen, das doppelte der ursprünglich veranschlagten Kosten – und auch deren Entwicklung ist noch lange nicht abgeschlossen. Nun ist die Kostenexplosion für sich genommen vielleicht nicht überraschend: schliesslich handelt es sich um eine äusserst komplexe Technologie, und es gibt wohl kaum ein Projekt dieser Komplexität, das innerhalb seines ursprünglichen Budgets abgeschlossen wurde (auch Apollo und das Space Shuttle waren viel teurer als ursprünglich geplant).

Trotzdem muss die Frage erlaubt sein, ob die Kosten-Entwicklung beim SLS noch als „normal“ gelten kann, oder ob vielleicht mehr dahinter steckt. Die private Raumfahrtfirma SpaceX hat ihre eigene Schwerlast-Rakete, die Falcon Heavy, die im Februar 2018 zum ersten Mal gestartet ist und die knapp 64 Tonnen in die Erdumlaufbahn bringen kann, für gerade mal 500 Millionen US$ entwickelt. Das heisst, die Falcon Heavy kann zwar nur etwa zwei Drittel der Nutzlast der SLS Block 1 in die Erdumlaufbahn befördern, kostete in der Entwicklung aber weniger als ein Zwanzigstel dessen, was die NASA – bisher! – für das SLS ausgegeben hat. Zwar hat auch die Entwicklung der Falcon Heavy fünf Jahre länger gedauert als ursprünglich angekündigt, aber ihre Entwicklung war für SpaceX bei weitem nicht von so hoher Priorität wie das SLS bei der NASA. Woher also kommen diese extremen Unterschiede bei den Kosten?

Die Antwort könnte im Vertragsmodell liegen, das die NASA für fast alle Verträge mit privaten Firmen verwendet. Die Raumfahrtbehörde entwickelt das SLS zusammen mit den Luft- und Raumfahrtkonzernen Boeing, Northrop Grumman (Orbital ATK) und Aerojet Rocketdyne. Dabei verrechnen die Raumfahrtkonzerne ihre effektiven Kosten für die Entwicklung, und bekommen einen Bonus dazu, sofern ihnen die NASA gute Noten bei der Ausführung der Aufträge vergibt. „Cost Plus“ heisst dieses Modell. Kritiker monieren, dass diese Modell die falschen Anreize setzt: durch stetiges Hinauszögern der Arbeiten können die Raumfahrtkonzerne insgesamt mehr verdienen, ohne dass sie dafür gross bestraft werden. Der Bericht des OIG geht sogar noch weiter: er bezeichnet die Leistungen von Boeing als „schwach“, und wirft gleichzeitig der NASA vor, ihre Sorgfaltspflicht bei der Überwachung der Konzerne verletzt zu haben. Zudem sei sie viel zu grosszügig mit der Verleihung guter Noten (und damit mit der Auszahlung der Boni) gewesen.

Wird die Übung SLS nun abgebrochen? Vorerst wohl kaum. Zu breit abgestützt ist das SLS politisch, zu viel Geld wurde bereits hinein gesteckt. Selbst wenn die Falcon Heavy zwei Drittel der Leistung anbietet, ist die Nutzlast des SLS – insbesondere in seinen späteren Varianten – unerreicht. Das wird aber nicht lange so bleiben: in den nächsten Jahren werden Schritt für Schritt andere Schwerlast-Raketen entwickelt und getestet: SpaceX baut schon am ersten Prototypen ihrer Big Falcon Rocket (BFR), die 150 Tonnen in die Erdumlaufbahn bringen und vollständig wiederverwendbar sein soll. BlueOrigin (das Raumfahrtunternehmen des Amazon-Chefs Jeff Bezos) entwickelt die etwas kleinere NewGlenn (45 Tonnen in die Erdumlaufbahn), bei der zumindest die erste Stufe wiederverwendbar ist. Wenn diese privaten Projekte Erfolg haben, wird der Tag kommen, an dem das SLS plötzlich nicht mehr Alternativlos ist. Aber bis dieser Tag kommt, werden wohl noch viele Milliarden Dollar in die Taschen von Boeing & Co. fliessen.

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