Schaden Kinder dem Klima?

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Spielendes Kind (Quelle: gemeinfrei)

In Diskussionen rund um den Klimawandel wird manchmal argumentiert, dass die grösste „Klimasünde“ darin liege, Kinder zu bekommen. Begründet wird das damit, dass der jährliche Pro-Kopf-Ausstoss von CO2 in der Schweiz bei ca. 5 Tonnen liegt (tatsächlich sind es über 12 Tonnen, wenn man die „importierten“ CO2-Emissionen mitrechnet). Über eine typische Lebensdauer von 80 Jahren kumulieren sich diese Emissionen dann auf fast 1000 Tonnen CO2 pro Menschenleben – Emissionen, die gemäss dieser Argumentation ausbleiben würden, wenn der Mensch schon gar nicht erst gezeugt worden wäre. In Zeiten des Klimawandels, so heisst es dann, wäre es deshalb angezeigt, höchstens ein Kind oder noch besser, gar keine Kinder zu haben.

Zunächst einmal, mir ist bewusst dass das Thema „Kinder haben“ ein schwieriges ist. Nicht alle, die Kinder wollen, können Kinder bekommen – und nicht alle, die Kinder bekommen könnten, wollen das auch. Beiden Gruppen ist gemeinsam, dass sie sich ständig erklären und verteidigen müssen. Aus meiner Sicht ist jede bewusste Entscheidung für oder gegen Kinder (unabhängig von der Klima-Frage) absolut legitim – das muss auf der persönlichen Ebene entschieden werden, und da hat auch niemand anders mitzureden (sicher keine wildfremden Menschen). Im Folgenden soll es deshalb nicht um das pro und kontra des Kinderhabens an sich gehen, sondern nur um die Frage, ob es tatsächlich dem Klima schadet, wenn man (viele) Kinder hat.

Schauen wir uns zuerst das zentrale Argument an, wonach jedes Kind in seinem Leben zur Freisetzung von bis zu 1000 Tonnen CO2 verantwortlich sein wird. Ist das zwangsläufig so? Nein – denn die Emissionen pro Person können stark schwanken. Dies lässt sich sehr gut anhand von Interkontinental-Flügen illustrieren. Wer heute von Zürich nach, sagen wir, New York und zurück fliegt, der verursacht damit direkt die Freisetzung von etwa einer Tonne CO2 (Annahmen: 6300 km Distanz, ca. 3.1 Litern Kerosin pro 100 Passagierkilometern in einem vollbesetzten Flugzeug, und ca. 2.6 kg CO2 pro Liter Kerosin). Eine Tonne macht also bereits 20% der 5 Tonnen (oder 8% der 12 Tonnen) CO2 pro Jahr aus. Durch zusätzliche Flüge – oder eben durch den Verzicht auf Flüge – lässt sich der CO2-Ausstoss pro Person stark nach oben oder unten schrauben.

Das heisst also, dass die bis zu 1000 Tonnen CO2 pro Menschenleben keineswegs in Stein gemeisselt sind: es handelt sich um einen Durchschnittswert, einer Zahl basierend auf dem heutigen Lebensstil, der je nach dem realen, künftigem Lebensstil des Kindes stark variieren kann. Ein Kind, das (z.B. von seinen Eltern) lernt, mit wenig Flügen auszukommen, wird über sein ganzes Leben weit weniger Emissionen verursachen als eines, das künftig wöchentlich mehrmals das Flugzeug besteigt. Das gilt natürlich nicht nur für Flugreisen, sondern für jeden weiteren Aspekt des Lebens, welcher zu CO2-Emissionen führt: etwa ob der öffentliche Verkehr oder ein Auto genutzt wird, und wenn ein Auto, über welchen Antrieb es verfügt, wie die Wohnung des Kindes geheizt und gedämmt wird, wie der Strom im Land, in dem es lebt, erzeugt wird, und so weiter.

Dies bringt mich zum zweiten Teil des Arguments: man darf nicht vergessen, dass die CO2-Emissionen, mit denen bei dieser Argumentation gerechnet wird, rein hypothetisch sind. Sie sind nicht vergleichbar mit realen Emissionen, wie sie z.B. eine Flugreise oder eine Autofahrt mit sich bringt. Wer glaubt, dass die Menschheit die Kurve kriegen wird und das Problem des menschgemachten Klimawandels durch Treibhausgas-Emissionen in den Griff bekommen wird – und ich würde jetzt behaupten, dass niemand, der daran zweifelt, Kinder auf die Welt stellt! – der geht damit auch automatisch davon aus, dass wir in Zukunft unsere CO2-Emissionen stark reduzieren werden. Um das „2 Grad Ziel“ der UNO zu erreichen, ist es vermutlich sogar nötig, die Emissionen künftig nicht nur auf Null zu schrauben, sondern ins Negative zu kehren: wir müssen Mittel und Wege finden, um CO2 wieder aus der Atmosphäre zu binden (z.B. durch Filterung aus der Luft, Eisendüngung der Ozeane oder durch grossflächige Aufforstungen).

Was heisst das nun für die hypothetischen CO2-Emissionen über das ganze Leben eines heute geborenen Kindes? Legen wir doch als Beispiel folgendes Szenario zu Grunde: der CO2-Ausstoss pro Kopf (in der Schweiz) sinkt zwischen 2020 und 2050 linear auf Null, sinkt danach weiter auf -2 Tonnen pro Person und Jahr, und bleibt danach konstant. Was sind dann die kumulierten CO2-Emissionen eines 2020 geborenen Kindes, das 80 Jahre alt wird? In den 30 Jahren bis 2050 werden insgesamt (12 x 30 / 2 =) 180 Tonnen CO2 freigesetzt. Danach dauert es 5 Jahre, um die -2 Tonnen zu erreichen, in der Zeit werden (-2 * 5 / 2 =) -5 Tonnen emittiert. Bis 2100 (wenn das 2020 geborene Kind 80 Jahre alt wird) werden dann nochmals (-2 * 45 =) -90 Tonnen emittiert. Über das ganze Leben des Kindes wurden nun also nicht etwa wie ursprünglich behauptet 1000 Tonnen, sondern nur gerade 85 Tonnen CO2 (netto) freigesetzt, oder ca. 1 Tonne pro Lebensjahr. Die Kinder der Kinder (geboren 2050) würden sogar nur netto negative Emissionen verursachen!

Natürlich ist das stark abhängig vom genauen Szenario, das man zu Grunde legt, aber das Beispiel zeigt, dass man keineswegs davon ausgehen kann, dass Kinder insgesamt dem Klima schaden. Nach aller Wahrscheinlichkeit werden ihre Lebensemissionen massiv unter jenen heute lebender Menschen liegen. Zudem würde ich behaupten, dass mehr Kinder, mehr Menschen nicht einfach zu mehr Konsum und mehr Umweltzerstörung führen, sondern auch zu mehr kreativen Ideen, wie die Probleme der Welt zu lösen sind (was, wenn das aus Klimaschutzgründen nicht gezeugte Kind der Kernfusion zum Durchbruch verholfen hätte?); zu mehr Händen, die zupacken können, um die bestehenden Probleme zu lösen; zu mehr Wirtschaftsleistung und Wohlstand, um die gefundenen Lösungen auch umzusetzen.

Die Idee, Kinder seien „Klimakiller“, ist nicht haltbar. Sie basiert auf der Annahme, dass der Mensch nicht lernfähig sei und die Klimakatastrophe unabwendbar – nur so lässt sich rechtfertigen, dass für die nächsten 80 Jahre einfach die gleichen Emissionen wie heute zu Grunde gelegt werden. Die stabile globale (interplanetare!) menschliche Zivilisation der Zukunft, die mit der Biosphäre der Erde friedlich koexistiert, kann nicht von altersschwachen Greisen in Roboter-betreuten Altersheimen aufgebaut werden, sondern braucht junge Menschen mit neuen Ideen. Zweifellos: der Entscheid für oder gegen Kinder muss weiterhin auf der individuellen Ebene gefällt werden. Aber zumindest der Klimawandel sollte bei dieser Entscheidung keine Rolle spielen!

Und was meint ihr? Schreibt eure Gedanken in die Kommentare!

2 Kommentare

  1. In letzter Konsequenz läuft eine derartige Denke auf diesen Satz heraus: Jeder (oder fast jeder – über die denkbaren Ideen für Auswahlkriterien gleich) Mensch ist zuviel auf diesem Planeten. Unter dieser Grundannahme wäre das Beste, was ein (durchschnittlicher) Mensch für eine auch in Zukunft bewohnbare Erde tun kann, möglichst bald zu sterben. Glücklicherweise ist die Idee des Klimaschutzes gegenwärtig im linken oder zumindest linksliberalen politischen Milieu verortet – dort ist die humanitäre Tradition viel zu stark, als dass man, bei aller Naturromantik und (oberflächlichen) Zivilisationskritik, diese Konsequenz ziehen würde. Aber muss das so bleiben? Wenn ich mir vorstelle, dass die radikale bis extreme Rechte (die auf die Klimathematik bislang nur mit Verdrängung, wenn nicht platter Leugnung reagiert) demnächst den Klimaschutz für sich entdeckt, läuft es mir eiskalt den Rücken hinunter. Ein radikalökologischer Neo-Nationalsozialismus bräuchte nicht einmal mehr die Mär von der jüdischen Weltverschwörung (obwohl diese das massenmörderische Potenzial einer solchen Bewegung natürlich noch steigern würde), um im Namen der CO2-Begrenzung in Deutschland, Europa, schlimmstenfalls der Welt ein Blutbad anzurichten, das jedem Vergleich mit dem Holocaust standhalten würde. Sowohl dem historischen Nationalsozialismus wie dem radikalen Ökologismus ist nämlich der Knappheitsmythos gemeinsam: es reicht nicht für alle, deshalb muss ein Teil (natürlich die „Minderwertigen“) über die Klinge springen. Klimaschützende Neo-Nazis hätten kein Problem damit, radikalökologische Verzichtsagenda mit klassischem Rassenwahn und Sozialdarwinismus zu verbinden – dann würden eben nicht mehr nur im Namen der Weltherrschaft der arischen Rasse, sondern auch für die Wiederherstellung des ökologischen Weltgleichgewichts chronisch Kranke und Behinderte vergast und totgespritzt, die eigene Unterschicht mittels „Vernichtung durch Arbeit“ ausgedünnt, die „Musel-, Bimbo- und Kanakenländer“ mit Vernichtungskriegen à la Russlandfeldzug überzogen, und um die Judenfrage endlich endzulösen würde man Israel thermonuklear von der Landkarte radieren. Bis am Ende eine nach Meinung des Regimes ökologisch dauerhaft verträgliche Weltbevölkerungszahl erreicht ist…

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