Menschheit ohne Erde

Eine O'Neill-Kolonie in einer künstlerischen Darstellung
Eine O'Neill-Kolonie - eine riesige, rotierende Raumstation für Millionen Menschen. Quelle: NASA (Public Domain).

Ist eine Menschheit ohne Heimatwelt, ohne Erde denkbar? In anderen Worten: könnte, ja sollte, die Menschheit die Erde eines Tages verlassen? Nicht weil sie muss, sondern weil es für alle Seiten das Beste ist? Vom sowjetischen Raketenpionier Konstantin Ziolkovsky stammt das Zitat: „Es stimmt, die Erde ist die Wiege der Menschheit, aber der Mensch kann nicht ewig in der Wiege bleiben.“ Dass eine intelligente, technologische Spezies wie der Mensch auf einem Planeten voller anderer Lebensformen entstanden ist, muss niemanden überraschen. Doch es gibt keinen triftigen Grund, warum diese Spezies auf diesen einen Planeten beschränkt bleiben sollte – oder warum sie ihn nicht eines Tages ganz verlassen sollte.

Unsere Technologie macht es uns heute grundsätzlich möglich, auch zu anderen Planeten, Monden und kleineren Himmelskörpern zu fliegen und diese allmählich zu besiedeln. Die Besiedlung der Erde durch den modernen Menschen hat gezeigt, dass unsere Vorstellungskraft, Kreativität, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit ausreichend waren, um uns an unzählige neue Lebensräume anzupassen – praktisch mit dem Technologie-Level der Steinzeit. Die Oberfläche des Mars mag lebensfeindlich für den ungeschützten Menschen sein – aber das ist Grönland auch, und wir sind heute technologisch viel weiter als jene Gruppen von Menschen, die Grönland (immer wieder) besiedelten.

Die Besiedlung anderer Welten des Sonnensystems (und eines Tages, darüber hinaus) hat einen grossen Vorteil gegenüber der Erschliessung aller Lebensräume auf der Erde: es gibt da keine „anderen“, keine „Natur“, ja überhaupt kein Leben – zumindest, soweit wir das heute wissen. Und selbst wenn im Marsboden oder unter der Eiskruste des Jupitermonds Europa einfache, einzellige Lebensformen existieren würden, so hätten sie biologisch wohl weniger mit uns gemeinsam als die irdischen Mikroorganismen – wenn uns letztere im Alltag egal sind (ausser als wissenschaftliche Forschungsobjekte), dann sollte dies genauso für ausserirdische Mikroorganismen gelten.

Die gewaltigen Mengen an ungenutzter Oberfläche, allzeit frei verfügbarer Energie (der Sonne) und zugänglichen Rohstoffen allein schon im Inneren Sonnensystem sind ein ausgezeichneter „Nährboden“ für eine technologische Zivilisation. Im Kontrast dazu erscheinen die Bedingungen auf der Erde eher einschränkend: aufgrund der hohen Schwerkraft sind nur die Rohstoffe der obersten ca. 10 km der Erdkruste wirklich zugänglich, die Nutzung der Sonnenenergie wird durch den Tag-Nacht-Zyklus sowie die turbulente Atmosphäre erschwert, die Zivilisation muss sich den beschränkten Platz mit einer Biosphäre teilen, die nicht beliebig eng komprimiert werden kann, ohne dass sie ihre Vielfalt verliert. Kreisläufe bringen freigesetzte Abfälle immer wieder zurück.

Der irdischen Biosphäre ginge es viel besser, wenn sie ihren ursprünglichen Platz auf der Erdoberfläche zurück bekäme – und der Menschheit ginge es besser, wenn sie bei ihren zivilisatorischen Vorhaben nicht auf eine Biosphäre Rücksicht nehmen müsste. Wäre es also nicht besser, wenn die beiden mehrheitlich getrennte Wege gingen? Die Trennung müsste nicht komplett sein: eine ins Sonnensystem expandierende Menschheit würde mit Sicherheit einen Teil dieser Biosphäre mitnehmen, mindestens das menschliche Mikrobiom, vermutlich aber auch zahlreiche Nutzpflanzen, Pilze und möglicherweise sogar domestizierte Tiere. Umgekehrt könnten auch in Zukunft einige Menschen zu Forschungs- und anderen Zwecken auf der Erde bleiben.

Man kann sich dem Gedanken einer „Menschheit ohne Erde“ auch so nähern: wie wird die Beziehung der Menschheit zum Rest der irdischen Biosphäre in einer Million Jahre aussehen? Man kann die Zivilisation und die Natur als zwei verschiedene Aggregatszustände betrachten: je stärker die Zivilisation wird, desto stärker verdrängt sie die Natur. Ein möglicher Endzustand wäre also sowas wie „Coruscant“ (der Stadtplanet aus Star Wars): die Zivilisation hat gewonnen, die Natur ist (nahezu) verschwunden. Alternativ könnte es sein, dass die Zivilisation an internen Widersprüchen oder am allmählichen Verschwinden der Natur zerbricht, zusammenbricht und verschwindet – die Natur erobert sich ihren Planeten zurück (oder es kollabieren beide…).

Diese Ausgänge sind aus unserer Sicht natürlich nicht wünschenswert: besser wäre ein Gleichgewicht. Doch es gab in der Geschichte menschlicher Kulturen noch nie eine, die ein solches Gleichgewicht erreicht hat. Schon die Menschen der Steinzeit haben unzählige grosse Tierarten (die „eiszeitliche Megafauna“, deren bekanntester Vertreter wohl das Mammut ist) ausgerottet – immer und immer wieder, weltweit. Auch später nutzten Menschen die vorhandenen natürlichen Ressourcen, übernutzten sie schliesslich, worauf es zum lokalen Kollaps kam (z.B. bei den Mayas in Mittelamerika). Das Gleichgewicht erscheint instabil, die Stabilitätspunkte in der Beziehung Mensch und Natur scheinen nahe an den Enden zu liegen: fast 0% und fast 100%.

Jedes Gleichgewicht, das unsere Nachfahren auf der Erde im Umgang mit der Natur möglicherweise finden werden, wird ebenso instabil sein wie jene der Vergangenheit. Kulturen ändern sich, kulturelle Präferenzen, Überzeugungen, Interessen und Einsichten entwickeln sich ständig weiter. Es braucht nur einen kleinen Teil der globalen Zivilisation, der ausschert und das Pendel in die eine oder andere Richtung ausschlagen lässt, und schon sind Zivilisation und Natur wieder auf dem Weg zu einem der beiden Stabilitätspunkte. Es gibt nur eine langfristig einigermassen stabile Lösung: die Menschheit muss nachgeben und der Natur auf der Erde ihren Platz lassen – und stattdessen die gewaltigen Potenziale des restlichen Sonnensystems für sich nutzen.

Eine zurückgelassene Erde könnte in einem gewissen Sinn ein Park sein, das ultimative „Naturschutzgebiet“ für die irdische Biosphäre. Sie wäre nicht komplett menschenleer, sondern eine Art Pilgerort, mit ausgewiesenen Stellen, an denen die Menschheit ihrer Ursprünge gedenkt und ihrer langen Geschichte. Vielleicht fänden stellenweise Aufräumarbeiten statt, um die Spuren des Anthropozäns dort zu beseitigen, wo sie die sich regenerierende Biosphäre immer noch stören. Vielleicht würde man mit dem Wiederansiedeln längst ausgestorbener und nun genetisch wiedererweckter Tierarten experimentieren. Insgesamt wären es dann nicht mehr als ein paar hunderttausend Menschen weltweit: so wie es fast immer war.

Mit dem Unterschied, dass die Bevölkerung des restlichen Sonnensystems zu jener Zeit bereits Milliarden von Menschen umfassen könnte. Und sollte dieser expandierenden menschlichen Zivilisation im Sonnensystem doch einmal etwas zustossen, so gäbe es mit der regenerierten Erde immer noch einen Ort, an dem Menschen grundsätzlich auch auf dem technologischen Level der Steinzeit überleben und es, Jahrtausende später, nochmals versuchen könnten.

2 Kommentare

  1. Die Erde zu verlassen ist sinnlos, da das Leben im lebensfeindlichen All oder auf lebensfeindlichen Planeten in unserem Sonnensystem definitiv nicht lebenswert wäre.
    Deshalb verstehe ich auch nicht, warum man unbedingt wieder bemannt zum Mond und jetzt auch zum Mars möchte, wobei ich die geplante Marsmission für ein Selbstmordkommando halte. Vom Mars wird kein Astronaut zur Erde zurückkehren, die Mission schon auf dem Hinflug scheitern, da man den menschlichen Faktor nicht einberechnen kann. Die Erde ist für uns Menschen und alle anderen Mitlebewesen der allerbeste Ort im Universum, weil wir optimal an unseren Planeten und dessen Biosphäre angepasst sind. Nirgendo könnten wir besser leben als auf der Erde. Da wir überhaupt nicht wissen, wo wir nach einem erdähnlichen Planeten suchen könnten, stellt sich die Frage eh nicht. Gleiches gilt für die extremen Entfernungen, die man zurücklegen müsste, um überhaupt das dem Sonnensystem nächste Sternsystem zu erreichen. Kein Mensch kann diese extrem lange Isolation auf engstem Raum und die ständige Gefahr eines Technikversagens auf so einer langen Raumreise körperlich wie psychisch durchstehen. Die Technik dürfte durch extreme Kälte und dauerhafter kosmischer Strahlungseinwirkung nach spätestens 40 bis 50 Jahren ausfallen, siehe die beiden Voyager-Sonden, die seit 1977, also seit 47 Jahren unterwegs sind und jetzt technische Ausfälle zeigen. Wo der Sauerstoff, das Wasser und die Nahrung für die Besatzung herkommen sollen, erschließt sich mir ebenfalls nicht. Was passiert bei schweren Erkrankungen der Astronauten, wo werden die immensen Stoffwechselausscheidungen (Urin/Kot) entsorgt, Fragen über Fragen? Mit heutiger Technologie würde der Flug zum Erdzwilling Proxima Centauri b mindestens 40.000 Jahre dauern. Kein Mensch kann sich vorstellen, wie lange 40.000 Jahre sind, weil wir im Durchschnitt nur 75 Jahre alt werden. Zudem glaube ich, das wir im Umkreis von 500 bis 1000 Lichtjahren auf jeden Fall allein sind, denn gebe es außer uns andere intelligente Lebensformen in diesem Entfernungsbereich, hätten wir ihre Existenz durch Beobachtung oder durch Radioteleskope/Signale bereits entdeckt. Wir hören mit Radioteleskopen seit über 60 Jahren das Universum ab, aber ET sendet nicht, weil nicht existent. Sollte es da draußen im Universum tatsächlich noch eine zweite intelligente Lebensform geben, dann wird sie ebenfalls ein affenartiges Säugetier/Landlebewesen sein, das denken kann, also uns in Körperbau stark ähneln. Weil nur mit der Anatomie eines Menschen, feinfühlingen Händen/Fingern usw. der Bau von technischen Geräten und Raumschiffen überhaupt möglich wäre. Flossen-Wasserlebewesen fallen wegen ihrer Anatomie und wegen der Elektrizität/Strom schonmal komplett aus, denn der Umgang damit wäre ihr sofortiges Todesurteil. Wir sind meiner Meinung nach allein und wir werden es auch bleiben.Deshalb sollten wir anstatt nach den Sternen zu streben uns lieber zuerst einmal um den Erhalt unseres wunderbaren Planeten kümmern und das es allen Menschen gut geht. Damit wäre viel mehr gewonnen, als zig Milliarden Dollar für einen bemannten Mond- und Marsflug auszugeben. Beides extrem lebensfendliche, staubtrockene und kalte Himmelskörper, auf denen kein Mensch ohne extrem hohem technischen Aufwand lange leben könnte und sicher auch nicht leben möchte, da null Komma nichts an Lebensqualität.

    • So viele postulierte Gewissheiten auf einmal… Ich kann dir bei kaum etwas zustimmen.

      Ob das Leben auf einem anderen Himmelskörper nicht lebenswert wäre, dürfte wohl stark von der Perspektive jener abhängen, die dann (eines Tages) dort leben. Grönland, die Sahara oder das tibetische Hochland sind aus Sicht von jemandem, der in Ostafrika lebt, auch unwirtlich – und doch haben wir Menschen uns an diese Umgebungen angepasst.

      Kosmische Strahlung ist ein Problem im freien Raum – aber sie lässt sich durch ein paar Meter Gestein oder Eis letztlich abschirmen (wie dies auch auf der Erde der Fall ist). Natürlich nicht in einer kleinen Raumsonde wie Voyager, aber im Inneren eines ohnehin grossen Raumschiffes, wie es nötig wäre, um Menschen zu einem anderen Stern zu bringen, schon.

      Langfristige Besiedlung beziehungsweise sehr lange Flüge kämen nicht darum herum, geschlossene Kreisläufe zu schaffen. Das muss nicht einmal eine „Biosphäre II“ sein, das kann eine von Maschinen unterstütze Umgebung mit biologischen Elementen (etwa zum Abbau von Rückständen zur Gewinnung von Komposterde) sein, ganz so, wie dies auch auf der Erde der Fall ist.

      Was die Suche nach Ausserirdischen angeht, ich denke auch nicht, dass wir innerhalb der nächsten 1000 Lichtjahre andere finden werden, aber ausschliessen können wir es nicht: denn es gab nie systematische Suchen nach Signalen auf all den (vielen Millionen denkbaren) Kanälen. Wir haben nichts gefunden, ja, aber wir haben bisher auch nur sehr oberflächlich gesucht. Aus diesem Faktenstand heraus kann man nicht schliessen, dass da niemand ist, der sendet.

      Gerade weil die Besiedlung des Weltraums bzw. seiner Himmelskörper am Ende auf geschlossene Kreisläufe, saubere Energien etc. angewiesen ist, kann die Entwicklung von Siedlungen auf anderen Welten auch Vorteile für die Erde. Und wenn dereinst – und das wäre die Hauptthese des oberen Artikels, auf die du gar nicht eingegangen bist – alle Menschen die Erde verlassen würden, wäre sie bzw. ihre Biosphäre endgültig sicher. Wir Menschen können überall leben, auch auf dem Mars – Nashörner, Araukarien und Plankton kann das nicht.

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