Leben und Zivilisationen unter dem Eis?

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Der Jupitermond Europa: ein Kern aus Gestein und Eisen, ein Ozean aus Salzwasser, eine Hülle aus Eis (Quelle: NASA/JPL-Caltech/SETI Institute).

Auf den ersten Blick ist der Ozean der Erde einzigartig im Sonnensystem: ein riesiger Wasserkörper, mehrere Kilometer tief, ausgedehnt über viele Millionen von Quadratkilometern. In diesem Ozean entstand und entwickelte sich das irdische Leben, hier wird auch ein grosser Teil des Sauerstoffs produziert, der komplexe, vielzellige Lebensformen erst ermöglicht. Der Ozean bindet CO2 und setzt es wieder frei, absorbiert Sonnenstrahlung und reguliert so das Klima. Ohne Ozean gäbe es wohl kein höheres Leben auf der Erde. Kein Wunder also, dass man lange dachte, die Erde sei nicht nur der einzige Planet mit Leben, sondern auch der einzige mit einem Ozean. Heute wissen wir, dass das falsch ist: Zwar haben unsere unmittelbaren Nachbarplaneten Venus und Mars keine Ozeane, aber weiter draussen im Sonnensystem sind sie überraschend häufig – bloss sind diese Ozeane unter Kilometer-dicken Eiskrusten versteckt. Ceres, der grösste Asteroid des Gürtels, hat einen. Genauso die Jupitermonde Europa, Ganymed und Kallisto, die Saturnmonde Enceladus, Mimas, Dione und Titan. Auch der Neptunmond Triton, sowie der Zwergplanet Pluto – alle haben nach heutiger Auffassung Ozeane. In einer Mehrheit dieser Ozeane steckt sogar wesentlich mehr Wasser als in jenem der Erde!

Könnte es in diesen fernen Ozeanen auch Leben geben? Ausschliessen lässt es sich sicher nicht. Allerdings braucht Leben mehr als nur flüssiges Wasser: Leben braucht Zugang zu verschiedenen chemischen Elementen sowie zu einer nützlichen Energiequelle. Was die Entstehung des Lebens auf der Erde angeht, gehören vulkanische „Raucher“ im tiefen Ozean mit zu den Favoriten: hier fanden Mikro-Organismen sowohl die nötigen chemische Elemente als auch die thermische und chemische Energie, die sie für ihren Stoffwechsel nutzen konnten. Schaut man sich nun einige dieser Ozeane im äusseren Sonnensystem an, fällt auf, dass nur bei einer Minderheit der Ozean in direktem Kontakt mit einem Gesteinskern des Mondes stehen kann: bei den drei grössten Monden Ganymed, Titan und Kallisto ist das etwa nicht der Fall. Dort ist der Ozean zwischen verschiedenen Formen von Eis „eingeklemmt“ (normales Eis darüber, Hochdruck-Eis darunter) und damit vom Zugang zu Gesteinskern abgeschnitten. Bei Europa und Enceladus schliesst der Ozean direkt an den Gesteinskern an. Bei Enceladus durchfliesst der Ozean vermutlich sogar den gesamten Gesteinskern des kleinen Mondes. Der Zugang des Ozeans zum Gesteinskern zeigt sich im Salzgehalt des Ozeans: bei Enceladus wurde dieser von der Raumsonde Cassini direkt an Auswurf-Produkten gemessen und bestätigt, während Europas Oberfläche von unzähligen dunklen Striemen überzogen ist, die als Salzablagerungen gedeutet werden.

Bis wir wirklich in der Lage sind, Raumsonden auf den Oberflächen dieser Welten abzusetzen oder gar einen Weg durch die Eiskruste hindurch zum Ozean zu bohren, können wir auch nicht ausschliessen, dass es dort Leben gibt. Sogar komplexes Leben wäre grundsätzlich denkbar: Jupiters intensive Strahlung spaltet an Europa’s Oberfläche Wassermoleküle in Wasserstoff und Sauerstoff – der Wasserstoff entweicht ins All, während der zurück bleibende Sauerstoff durch Krustenerneurungs-Prozesse wieder ins Innere des Mondes gezogen wird – er könnte so den Ozean mit freiem Sauerstoff anreichern. Die Meinungen in dieser Frage gehen allerdings auseinander, es gibt wohl ebenso viele Planetarwissenschaftler, die den Europa-Ozean für lebensfeindlich halten. Trotzdem scheint klar, dass man die Ozeane eisiger Welten in Betracht ziehen muss, wenn man über die Häufigkeit vom Leben im Universum diskutieren will. Grundsätzlich bieten diese Ozeane nämlich sehr stabile Bedingungen: die Eiskruste schützt die Bewohner nicht nur vor Asteroideneinschlägen, sondern auch vor Sonneneruptionen oder allzu nahen Supernova-Explosionen und Gammastrahlen-Ausbrüchen. Zudem ist bei einem solchen Ozean Leben in beliebiger Distanz zum Stern des Systems möglich: weil die Energie, welche die Ozeane flüssig hält, aus Gezeitenkräften kommt und nicht vom Stern, wird das Konzept der „bewohnbaren Zone“ völlig ausgehebelt.

An einer amerikanischen Konferenz letztes Jahr hat der Astronom Alan Stern, der als Hauptverantwortlicher („Principal Investigator“ oder „PI“) der NASA Pluto-Mission New Horizons weltweit bekannt geworden ist, nun vorgeschlagen, dass Ozeane unter Eiskrusten sogar das „Fermi-Paradoxon“ erklären könnten. Das Fermi-Paradoxon wurde vom berühmten italienisch-amerikanischen Physiker Enrico Fermi im Jahr 1950 (angeblich während der Mittagspause mit Kollegen) formuliert: Es gibt Milliarden von sonnenähnlichen Sternen in der Milchstrasse, viele davon sind Milliarden von Jahren älter als die Sonne. Wenn es in der Milchstrasse viele Tausend oder sogar Millionen andere fortgeschrittene Zivilisationen (Exozivs) gibt, müsste es doch einigen von ihnen vor langer Zeit schon gelungen sein, interstellare Distanzen  zu überwinden. Selbst wenn diese Reisen nur mit einigen Prozent der Lichtgeschwindigkeit geschehen, ist die Milchstrasse mit 100’000 Lichtjahren Durchmesser klein genug, dass sie in ein paar Millionen Jahren besiedelt (oder zumindest besucht) werden könnte. Deshalb Fermi’s Frage: „Wo sind sie denn alle!?“ Was genau hält sie auf? Weshalb ist die Erde nicht schon seit Milliarden Jahren von unzähligen Zivilisationen besiedelt worden?

Alan Stern’s Argument geht nun etwa wie folgt: Wenn Ozeane unter Eiskrusten wirklich komplexes, ja sogar intelligentes Leben hervorbringen können, dann sollte ein grosser Teil aller Exozivs im Universum in Ozeanen unter Eiskrusten leben – eben weil dieser Typ Umgebung so viel häufiger ist als die erdähnliche Umgebung (allein im Sonnensystem gibt es sicher ein Dutzend Welten mit Ozeanen unter Eiskrusten – aber nur eine einzige mit „offenen“ Ozeanen). Die Menschheit wäre dann eine seltene Ausnahme. Stern argumentiert, dass die Eiskruste dazu führen könnte, dass die Exozivs in diesen Ozeanen nichts vom Universum jenseits der Eiskruste wissen und deshalb auch gar nicht erst auf die Idee kommen, die Milchstrasse zu besiedeln. Und selbst, wenn sie einmal zur Oberfläche durchbrechen würden, müssten ihre allfälligen Raumschiffe den „Ozean mitnehmen“, um ihre Bewohner am Leben zu erhalten: nicht nur wären sie komplett mit Wasser gefüllt, es müsste auch ein Weg gefunden werden, im Inneren des Raumschiffs den hohen Druck in einem Ozean unter einer kilometerdicken Eiskruste zu reproduzieren.

Ich halte nicht viel von Alan Stern’s Idee, aus drei Gründen. Erstens erfordert sie, dass wir selbst eine seltene Ausnahme sind: das ist nie eine gute Ausgansposition, besonders dann, wenn man (noch?) gar keine unterstützenden Beobachtungen hat. Zweitens ist die Überwindung einer kilometerdicken Eiskruste kein Problem für eine technisch fortschrittliche Exoziv: wir selbst haben etwa in den Antarktis den Wostok-See angebohrt (zugegeben, durch 3 km statt 30 km Eis), und dabei ist das nur ein kleiner vergessener Winkel unseres Planeten, keine weltumspannende, mysteriöse Mauer die den Rest des Universums verbirgt. Das Fermi-Paradox erfordert eine stabilere Lösung, als darauf zu vertrauen, dass fortschrittliche Exozivs nicht durch Eisschilde bohren können. Zudem gibt es dann noch immer die Exozivs, die aus erdähnlichen Umgebungen stammen (auch wenn sie seltener sind): was hält diese auf? Und schliesslich, drittens, dürften diese Exozivs, wenn sie sich einmal durch die Eiskruste gebohrt haben, schnell realisieren, wie häufig Ozeanwelten sind – das heisst, das Universum käme ihnen schnell wesentlich bewohnbarer vor als uns! Das würde die Motivation, andere Welten zu besiedeln, sogar noch fördern (man stelle sich vor, wir hätten auf Mars oder Venus eine atembare Atmosphäre gefunden: wir wären längst dort!). So faszinierend diese eisverkrusteten Ozeanwelten auch sind – das Fermi-Paradoxon können sie nicht erklären.

Was denkst du? Wo leben die meisten Exozivs – auf erdähnlichen Welten oder unter Eiskrusten? Werden wir auf Europa dereinst Leben finden – oder gar komplexes Leben? Schreib es unten in die Kommentare!

2 Kommentare

  1. Da die Lebensbedingungen in einem durch Gezeitenkräfte flüssig gehaltenen Untereisozean sehr stabil sind, insbesondere was die Temperaturverhältnisse angeht – es gibt weder Wetter noch Jahreszeiten! – werden etwaige (für Matthias: allfällige ;-)) Lebensformen keinem nennenswerten Selektionsdruck ausgesetzt sein, der zur Weiterentwicklung führen könnte. Aber selbst wenn: die Entdeckung bestimmter Technologien ist unter Wasser kaum oder überhaupt nicht möglich, man denke nur an Metallurgie oder gar die Nutzung der Elektrizität. Ohne Metallverhüttung und Elektronik dürfte es aber schwierig mit Raumfahrt werden… aus den Äquivalenten von Pflanzenfasern (also meinetwegen irgendeine komprimierte Algenpampe) lassen sich keine Strukturen bauen, die den in der Raumfahrt auftretenden Beschleunigungskräften und Temperaturen standhalten können, kein von Jungsteinzeitmenschen gezimmertes Holzraumschiff hat jemals die Umlaufbahn erreicht!

  2. Ich könnte mir durchaus vorstellen das die meisten Körper mit Leben Eiswelten mit Ozeanen sind einfach weil sie scheinbar sehr häufig sind. Ich zweifle auch nicht daran das es im Universum noch außer uns Leben gibt. Bedenkt man wie viele bewohnbare Welten es im Universum aufgrund der schieren Größe gibt erscheint es absurd das in Frage zu stellen. Bezüglich dem Fermi Paradox denke ich das es zwar sehr viel Leben im Universum gibt jedoch die Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung einer multiplanetaren Spezies einfach extrem gering ist. Leben gibt es auf der Erde seid 3,5 bis 4 Milliarden Jahren. Die Menschheit hat sich jedoch erst in den letzten Jahrtausenden zu einer Zivilisation entwickelt. Und von einer Zivilisation die andere Planeten besiedelt sind wir auch noch leider weit entfernt. Gelingt es uns jedoch nicht andere Planten zu besiedeln ist kann auch unsere Zivilisation schnell wieder Geschichte sein. Dazu bedarf es nur eine Katastrophe wie bspw. eines Asteroideneinschlags mit einer gewissen Größe (Die Dinosaurier können ein Lied von singen). Ich vermute von den sehr wenigen Lebensformen die es schaffen sich zu einer Zivilisation weiter zu entwickeln können die meisten nicht lang genug bestehen um sich außerhalb ihres Systems auszubreiten.
    Bedenkt man außerdem wie lange wir Menschen überhaupt im Stande sind Signale einer exziv zu erkennen- nur ein Wimpernschlag in der Geschichte des Lebens auf der Erde. Signale von anderen Zivilisationen wären auf diesem Planeten also die längste Zeit vollkommen unentdeckt geblieben. Und wenn in unserer stellaren Nachbarschaft in ein paar hunderttausend Jahren eine exoziv entsteht wird sie wohl auch von unserem System keine Signale mehr erhalten und annehmen das sie allein sind. Da es unsere Spezies höchstwahrscheinlich dann nicht mehr gibt.

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