Es gibt mindestens einen Ausweg aus dem Doomsday-Argument

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Explosion einer Atombombe auf einem französischen Atoll (Quelle: Pierre J. / Flickr / CC BY-NC-SA 2.0)

Das sogenannte „Doomsday Argument“ wurde auf dieser Webseite (während ihrer früheren Aktivitäts-Phase bis 2013) mehrfach und, sagen wir mal, eher kontrovers diskutiert… 🙂 Das Argument basiert auf folgender Überlegung: wenn ich aus einer Urne mit einer unbekannten Anzahl Kugeln, die alle durchnummeriert sind, eine ziehe, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass die Nummer der gezogenen Kugel nicht mehr als einen Faktor 10 von der totalen Anzahl Kugeln in der Urne weg ist. Wenn die Nummer der gezogenen zum Beispiel 42 lautet, dann ist es unwahrscheinlich, dass sich in der Urne eine Million Kugeln befinden, da dann die meisten Kugeln (95%) Zahlen im Bereich von 25000-975000 haben – dass man da ausgerechnet die sehr tiefe 42 erwischt, ist unwahrscheinlich (aber natürlich nicht völlig ausgeschlossen). Vergleichsweise plausibler erscheint es, dass sich in der Urne etwa 100 Kugeln befinden. Wir können ein „mittleres Interval“ definieren, das 95% aller Kugeln enthält, ausser die tiefsten 2.5% und die höchsten 2.5%. Hat man nun die 42 in der Hand, dann kommt sie mit 95% Wahrscheinlichkeit aus dem mittleren Interval. Es sind zwei Extremfälle denkbar: entweder, die 42 liegt am oberen Ende des mittleren Intervals (nur 2.5% der Kugeln haben eine grössere Nummer): dann gibt es insgesamt 43 Kugeln. Oder aber, sie liegt am unteren Ende des mittleren Intervals (nur 2.5% der Kugeln haben eine kleinere Nummer): dann gibt es insgesamt 1680 Kugeln. Da die 42 vermutlich irgendwo zwischen diesen beiden Extremen liegt, kann man dann also sagen, in der Urne seien mit 95% Wahrscheinlichkeit zwischen 43 und 1680 Kugeln. Mit dieser Abschätzung wird man (im Schnitt) in 19 von 20 Fällen recht behalten.

Das ist alles soweit unumstritten. Kontrovers wird das Argument aber offenbar dann, wenn man es auf die Zukunft der Menschheit anwendet. Im Prinzip können wir jedem Menschen, der je gelebt hat, in der zeitlichen Reihenfolge seiner Geburt eine Nummer zuteilen. Aus historischen und prähistorischen Bevölkerungsindikatoren ergibt sich, dass Menschen, die heute geboren werden, Nummern im Bereich von ca. 100 Milliarden haben sollten. Wenn man nun sagt, 100 Milliarden liegt – wie bei den Kugeln aus der Urne – wahrscheinlich irgendwo in den mittleren 95% aller Menschen, die jemals geboren werden, dann kommen nach uns also noch zwischen 2.6 Milliarden (wenn wir uns am Ende des mittleren Intervals befinden; 97.5% aller Menschen wurden schon geboren) und 4000 Milliarden (wenn wir uns am Anfang des mittleren Intervals befinden; erst 2.5% aller Menschen wurden schon geboren). Da die Bevölkerungszahl und Geburtenrate heute sehr viel höher ist als in der historischen Vergangenheit, wird diese Anzahl verbleibender Menschen heute auch schneller „verbraucht“: wenn (wie heute) 135 Mio Menschen pro Jahr geboren werden, dann dauert es – sofern das auch in Zukunft so bleibt – eben im schlimmsten Fall nur 19 Jahre, bis die Zahl erreicht ist – und im besten Fall knapp 30’000 Jahre. Sollten wir schliesslich auch noch andere Welten (wie etwa den Mars) besiedeln und dafür für eine gewisse Zeit auf höhere Geburtenraten setzen (sagen wir, 4-5 Kinder pro Paar) um den neuen Planeten schneller zu füllen, verkürzt sich die verbleibende Anzahl Menschen entsprechend schneller. Deshalb nennt man es das „Doomsday-Argument“: weil es für die relativ nahe Zukunft (Jahrzehnte bis maximal Jahrzehntausende) das Ende der Menschheit voraussagt. Eine Zukunft wie sie z.B. Isaac Asimov in seiner Foundation-Triologie darstellt, in der die Menschheit Millionen von Planeten in der ganzen Galaxis besiedelt hat (und jeder Planet Milliarden Einwohner hat), scheint praktisch ausgeschlossen: wir müssten dann zu den allerersten Menschen überhaupt gehören, quasi eine „42“ aus einer Urne mit einer Million oder gar einer Milliarde Kugeln. Das ist, wie gesagt, nie völlig auszuschliessen, aber es scheint auf jeden Fall extrem unwahrscheinlich.

Das Doomsday-Argument macht allerdings eine Annahme, die ich für nicht gerechtfertigt halte und die möglicherweise einen Ausweg bietet, wie die Menschheit für eine sehr lange Zukunft fortbestehen könnte. Die ungerechtfertigte Annahme ist die, dass die Menschheit nur fortbesteht, so lange neue Geburtsnummern verteilt werden. Das mag heute so sein – die Menschheit wäre nach spätestens etwa 120 Jahren ausgestorben, wenn keine neuen Kinder zur Welt kämen. Aber für die Zukunft muss das nicht zwingend gelten. Erstens ist da das mögliche Ende der biologischen Alterung. Körper junger Menschen haben ein enormes Reparatur-Potential. Dieses nimmt mit der Zeit ab, aber diese Abnahme ist nicht einfach (auf jeden Fall nicht ausschliesslich) auf „Verschleiss“ zurückzuführen, sondern ist genetisches Programm: die Natur lässt die älteren Mitglieder ihrer Spezies absichtlich vor die Hunde gehen. Vermutlich hat sich in der Natur die biologische Alterung deshalb durchgesetzt (überwiegend: es gibt Tierarten, die nicht altern und deren Lebensdauer nur durch Fressfeinde limitiert wird), weil sie mehr genetische Flexibilität ermöglicht: ohne natürliche Alterung konkurrenzieren die älteren Mitglieder der Spezies mit den jüngeren um die gleichen Ressourcen, was zu einer langsameren Durchsetzung evolutionärer Änderungen führt. Doch wenn die Alterung tatsächlich genetisches Programm ist, dann lässt sich dieses prinzipiell auch abschalten. Soweit sind wir heute noch nicht – aber beim gegenwärtigen Tempo der technologischen Entwicklung es ist durchaus denkbar, dass wir es in der verbleibenden Zeit, die uns das Doomsday-Argument noch gibt (19-30000 Jahre mit 95% Wahrscheinlichkeit) sein werden.

Zweitens ist da die Entwicklung künstlicher Intelligenzen beziehungsweise die fortschreitende Automatisierung. Ich glaube zwar keinen Moment, dass in Zukunft alle arbeitslos sein werden, weil die Maschinen künftig alle Arbeit besorgen. Aber mit dem Fortschritt der Technik werden die Maschinen einen immer grösseren Anteil der primären Wirtschaftsleistung bestreiten. Menschen werden sich neue Jobs schaffen, weniger arbeiten, zu geringeren Löhnen arbeiten (weil es mehr Konkurrenten gibt) und stärker von staatlichen Zuschüssen abhängig sein als heute (z.B. einem bedingungslosen Grundeinkommen). In dieser sozio-ökonomischen Umgebung – gerade dann, wenn gleichzeitig das biologische Altern wegfällt – dürfte ein starker gesellschaftlicher Druck gegen zusätzliche Kinder entstehen: denn mehr Menschen bedeutet, dass die von den Maschinen bestrittene und an die Bevölkerung verteilte Wirtschaftsleistung stärker geteilt werden muss. Dass jedem einzelnen Menschen weniger Raum, weniger Energie, weniger Geld zusteht. Entsprechend würden mit dem Ende des biologischen Alterns erst die Anreize, Kinder zu bekommen, gestrichen und dann durch (erst finanzielle, später vielleicht auch Freiheits-) Strafen ersetzt. In dieser Situation ist es auch denkbar, dass die Auswanderung von Menschen auf andere Welten von der Gesellschaft unterstützt wird, insbesondere dann, wenn sie Kinder bekommen wollen. Im Gegensatz zu den Gesellschaften auf der überfüllten Erde hätten Siedlungen auf anderen Welten ein starkes Interesse daran, solche Siedler anzuziehen, zumindest so lange, bis sie einen ähnlichen Lebensstandard erreicht haben wie die Erde. „Andere Welten“ muss sich dabei nicht auf Planeten und Monde beschränken: grosse, rotierende Habitate im All, die erdähnliche Bediungen bezüglich Schwerkraft und Atmosphären-Zusammensetzung bieten, dürften langfristig für irdische Auswanderer attraktiver sein als Planeten und Monde, auf denen man sich mit den lokalen Begebenheiten abfinden bzw. arrangieren muss.

Natürlich kann die Geburtenrate einer Gesellschaft, die langfristig überleben will, nicht wirklich auf Null sinken: denn das Ende der biologischen Alterung ist eben nicht das gleiche wie „metaphysische“ Unsterblichkeit. Menschen werden weiterhin durch Krankheiten, Unfälle oder Suizide sterben. Diese Menschen müssten dann weiterhin durch neue Kinder ersetzt werden. Die Rate, mit der Kinder geboren werden müssen, um die Bevölkerung zu erhalten (möglicherweise wäre aber auch das Bedürfnis da, die Bevölkerung zu reduzieren, um die staatlichen Zuschüsse pro Person zu erhöhen, die Belastung der natürlichen Umwelt und den Konkurrenzdruck zwischen den Menschen zu reduzieren), hängt dann von der „Sicherheit“ der Gesellschaft ab, also wie wahrscheinlich es ist, dass ein Mensch in einem Jahr durch z.B. einen Unfall ums Leben kommt. Wenn diese, sagen wir, 1:10000 beträgt, dann müssten auf einer Erde mit 10 Milliarden Einwohnern jährlich weltweit gerade noch 1 Million Kinder geboren werden, um die Bevölkerung konstant zu halten (man vergleiche dies mit den 135 Millionen jährlich heute). Das heisst, alleine durch das Ende des biologischen Alterns hat sich die „Reichweite“ der menschlichen Zivilisation um einen Faktor 100 verlängert: statt von 19 bis 30000 Jahren sprechen wir nun von 1900 bis 3 Millionen Jahren. Je höher die Sicherheit der menschlichen Gesellschaften wird, je geringer die gewünschte „ideale“ Bevölkerungszahl auf der Erde und anderen Welten angesetzt wird, desto kleiner kann die Geburtenrate sein, und desto länger kann die Menschheit überleben, ohne dass sich für uns heute eine extreme Position in der Reihenfolge der Geburten ergibt.

Es gibt noch eine weitere interssante Möglichkeit, aber dazu ein anderes Mal mehr. Was meinst du? Was ist deine beste Einschätzung, wie lange es die Menschheit noch geben wird, bzw., wie viele Menschen noch geboren werden, und welchen Platz weist uns deine Einschätzung in der Geburtenreihenfolge zu? Ist es plausibel, dass in Zukunft die Menschen immer länger leben und deshalb auch immer weniger Menschen zur Welt kommen? Schreib deine Antworten in die Kommentare!

12 Kommentare

  1. Entscheidend für das Funktionieren des Doomsday-Arguments ist das Bewusstsein. Wenn ich alle bewusst denkenden Lebewesen auf der Erde zähle, zähle ich alle, die das Argument ebenfalls anwenden könnten. Unter diesen bin ich wohl zufällig ausgewählt.
    Allerdings stimmt dies auch nicht ganz. Nicht alle Menschen denken gleichermassen bewusst über solche Fragen nach. Wie alt muss z. B. ein Baby werden, damit es gezählt werden muss?
    Daraus ergibt sich noch ein anderer Ausweg: Die Menschheit stimmt nicht aus, aber sie hört auf, bewusst zu denken. Bzw., das bewusste Denken lässt stark nach. Das ist auch eine ziemlich plausible Annahme, wenn man die Entwicklung der digitalen Medien betrachtet. Digitale Medien verdienen ihr Geld damit, möglichst viele Klicks zu generieren. Wie man das Maximum an Klicks generiert, wissen wir aus einem Experiment mit Ratten. Man steckte den Ratten eine elektrische Sonde in ein bestimmtes Hirnareal so, dass sich die Ratten mit einem Klick selbst dieses Areal mit einem elektrischen Impuls stimulieren konnten. Das taten die Ratten dann so lange, bis sie erschöpft umfielen und starben.
    Wenn Ratten sich so einfach ein solches Lustgefühl verschaffen können, wollen Menschen das natürlich auch. Und weil die grossen Internetfirmen genau damit ihr Geld verdienen, wird das auch kommen. Dann aber wird die Menschheit in kürzester Zeit völlig verdummen. Sie muss dann gar nicht mehr aussterben.

  2. passt zwar mehr zum Fermi Paradox, aber ich habe gerade einen spannenden Artikel über Grabby Aliens gelesen.
    https://grabbyaliens.com/
    Die wesentliche These ist, dass sogenannte Grabby Aliens sich relativ schnell ausbreiten und zwar mit relevanten Bruchteilen der Lichtgeschwindigkeit und anschließend den bewohnten Raum nachhaltig und messbar verändern. Dass wir noch keine Aliens sehen bedeutet, dass diese ziemlich selten sind (seltener als eine Zivilisation/Galaxis) und wir gleichzeitig noch relativ früh dran sind.

    Wäre neugierig hier mal eine Meinung dazu zu lesen. Scheint gerade eine relativ stark zitierte Arbeit zu sein. Gibt auch schon diverse Youtube Videos dazu.

  3. Die Lösung habe ich damals in de Kommentaren auch gegeben. wie schön.

    Das Argument hat aber ein Problem: Selfsampling.
    Wenn wir das SS akzeptieren, dann landen wir auch bei anderen Rasultaten

  4. Das Doomsday-Argument ist doch bloß ein Gedankenspiel, mehr nicht. Es ist keine ernstzunehmende Theorie, denn es will ohne ausreichend Daten eine Beziehung zwischen der A-posteriori-Wahrscheinlichkeit und der A-priori-Wahrscheinlichkeit herstellen.

    Wenn wir davon ausgehen, daß alle Menschen (ab einem bestimmten Individuum) durchnumeriert sind, und wenn wir davon ausgehen, daß die Menschheit noch sehr lange existiert, dann werden die Nummern natürlich sehr groß, und meine Nummer ist vergleichsweise niedrig. Wenn man also aus allen jemals existierenden Menschen zufällig einen auswählt, dann ist die Wahrscheinlichkeit recht klein, daß das ein Mensch aus der heutigen Zeit ist. Das ist die A-priori-Wahrscheinlichkeit.

    Nun ist die Wahl aber bereits gefallen. Ich bin ein Mensch aus der heutigen Zeit, also mit einer vergleichsweise kleinen Nummer. Nun möchte ich eine Abschätzung über die Gesamtzahl aller Menschen machen. Da geht es jetzt also um die A-posteriori-Wahrscheinlichkeit. Dazu habe ich aber überhaupt nicht genug Daten!

    Ich habe nur eine einzige Stichprobe, nämlich mich selbst. Alle anderen Menschen, also alle jetzt lebenden Zeitgenossen, haben zwangsläufig ähnlich niedrige Nummern wie ich, sie sind also keine stochastisch unabhängige weitere Stichproben. Es bleibt also bei einer einzigen Stichprobe: Es gibt für mich keine Möglichkeit, weitere stochastisch unabhängige „Ziehungen“ aus der Menge aller jemals lebenden Menschen durchzuführen. Wie soll ich aus einer einzigen Stichprobe etwas über die A-posteriori-Wahrscheinlichkeit herausfinden?

    Daneben ist auch völlig unklar, nach welchen Kriterien ich ausgewählt bin. Ist es wirklich eine völlig zufällige Entscheidung aus der Menge aller jemals lebenden Menschen, daß ich ich bin? Hätte überhaupt die Möglichkeit bestanden, daß ich jemand anders sein könnte? Oder stand schon von Anbeginn an fest, daß ich ich sein würde?

    Und vor allem: Wenn das Doomsday-Argument irgendeine Aussagekraft hätte, dann hätte es diese Aussagekraft nicht nur für mich, sondern genauso für jeden Menschen, der jemals gelebt hat, und für jeden Menschen, der jemals leben wird. Es würde also sogar für den Menschen Nr. 1 aussagen, daß dieser mit großer Wahrscheinlichkeit nach wenigen Generationen ausstirbt. Genauso könnten aber auch Menschen in ein paar zehntausend Jahren aus dem Doomsday-Argument schließen, daß die Menschheit noch lange leben wird.

    • ich denke mal, das Statistik auf einen statischen Prozess (Urne mit fester Anzahl Kugeln) sehr gut und auf einem dynamischen Prozess (ständige Weiterentwicklung der Geburtenrate und damit immer mehr Kugeln in der Urne) sehr schlecht anwendbar ist. Aber es ist natürlich eine gute Möglichkeit Leuten, die sich nicht mit Statistik auskennen, einen gehörigen Schrecken einzujagen 🙂

  5. Wenn du die Lebensdauer der menschlichen Spezies abschätzen willst, was sonst als die Menschheit sollte die Referenz sein.
    sie beginnt da, wo das was vorher war noch nicht als Mensch definierbar war und sie endet da, wo das was nach dem Menschen kommt nicht mehr als Mensch bezeichnet werden kann
    Mit Möglicherweise nicht eindeutig zuordenbaren Wesen in den Übergangszeiten an beiden Enden.

  6. Es ist interessant dass man in diesem Zusammenhang eine noch einfachere Rechnung aufmachen könnte: Neulich wurde bekannt, dass in Algerien Spuren von Werkzeuggebrauch (zerschnittene Tierknochen) gefunden hat, welche über zweieinhalb Millionen Jahre alt sind.
    Wenn wir jetzt davon ausgehen, dass die Besiedlungdichte und Besiedlingszeit einer Normalverteilungs Kurve folgen, leben wir wohl auch statistisch logisch in der Zeit der größten Anzahl von Beobachtern und wenn diese Kurve vor ca. 3 Millionen Jahren gestartet ist hätten wir auch noch einen ähnlichen Zeitraum (mit degressiven Bevölkerungszahlen) vor uns – eben deine drei Mio. Jahre ! 😋

    • Auch hier ist das natürlich wieder eine Frage der Referenzklasse, also was wertet man noch als „Menschen“? Wenn man die Referenzklasse auf alle der Gattung Homo erweitert, dann steigt die totale Anzahl Geburtsnummern zwar etwas, aber wohl auch nicht dramatisch stark (die Bevölkerungsdichte jener Zeit war ja sehr klein). Eine Normalverteilung der Bevölkerung ist eines von sehr vielen möglichen Szenarien, in denen wir eine einigermassen „normale“ Position einnehmen. Die Herausforderung, aus meiner Sicht, ist es, ein Szenario zu finden, in dem die Menschheit *trotzdem* für eine sehr lange (bevorzugt: beliebig lange) Zeit überlebt.

  7. Ich habe schon damals, in der ersten Inkarnation dieser Webseite, sehr aufmerksam die Diskussionen um dieses Thema verfolgt. Und mir natürlich auch selbst oft überlegt, wo denn der verdammte Fehler in der Argumentation ist. Denn ich bin sicher, daß das Doomsday-Argument nicht auf die Menschheit anwendbar ist.

    Ausschlaggebend sind die Grundannahmen, die einfach nicht die Realität widergeben, und das auch nicht können. Es gab nie einen ersten Mensch, und es wird auch nie einen letzten Menschen geben (katastrophale Weltuntergansszenarien lasse ich bewusst außen vor). Wer soll denn bitte der erste Mensch gewesen sein? Wer hatte also die Nummer 1? Genau: niemand! Es mag vielleicht auf den ersten Blick so aussehen. Aber der Homo Sapiens hat nicht von heute auf morgen den Homo Erectus abgelöst. Der war nicht auf einmal da, sondern es war eine Jahrtausende dauernde Entwicklung mit vielen Zwischenstufen. Und diese Entwicklung hört ja auch nicht auf. Irgendwann wird sich aus dem modernen Menschen eine (odere mehrere) zukünftige Art(en) entwickeln. Wer ist dann der letzte Mensch? Und wieder: niemand!
    Beim Doomsday-Argument wird einfach ein beliebiger Zeitpunkt in der Vergangenheit gewählt, ab dem es angeblich Menschen gab. Diesen Zeitpunkt gab es aber nicht. Der Mensch ist (wie jedes andere Lebewesen) einfach eine Zwischenstufe einer ununterbrochenen Entwicklung seit dem das Leben auf der Erde entstanden ist.

    Um das zu verdeutlichen, hier mal ein zweites Doomsday-Experiment: Die Frage ist, wie lange wird die Menschheit in einer Hochtechnologiezivilisation existieren? Ich lege den Startpunkt mal auf 1950, als die ersten Computer auftauchten. Mit anderen Worten: die Nummer eins in meiner Urne hat das erste Kind, das am 1.1.1950 weltweit geboren wurde. Rechne dir doch mal aus, wann dann das letzte Kind geboren wird, das noch in einer Welt mit Computern leben wird? 2035? 2040? (Nicht nachgerechnet, nur grob geschätzt). Soll das etwa heißen, mit einer 95% Wahrscheinlichkeit gibt es in 30 Jahren keine Computer mehr?
    Sicherlich hakt mein Beispiel an ein paar Stellen. Es soll einfach nur zeigen, dass ich mehrere solcher Doomasday-Argumente mit unterschiedlichen Randbedinungen aufstellen kann, die jedes für sich eine gleichhohe (oder niedrige?) Gültigkeit haben, sich aber gegenseitig durchaus widersprechen können. Damit verliert jedes einzelne Szenario für sich jegliche Aussagekraft.

    Ich bin mir sehr sicher, die Menschheit wird nicht aussterben, sondern sich in ferner Zukunft schlicht zu anderen Lebensformen weiterentwickeln. Es wird nie DEN letzten Mensch geben. Außer, uns fällt doch der Himmel auf den Kopf.

    • Natürlich hast du recht, dass es nicht von einem Tag auf den anderen einen „ersten Menschen“ gab. Trotzdem ändert es kaum etwas am Argument, wenn du diese tatsächlich willkürliche Grenze woanders ziehst (weil es damals kaum Menschen gab, verglichen mit heute). Und irgendwo musst du sie ziehen, denn irgendwann kommt der Punkt, wo man bei einem unserer Vorfahren definitiv nicht mehr von einem Menschen sprechen kann. Aber ob es jetzt 100 Milliarden oder 101 Milliarden oder 111 Milliarden sind, ändert am Argument selbst kaum etwas.

      Grundsätzlich kann man solche Überlegungen (wie mit dem Computer-Zeitalter) schon anstellen. Aber die Zeiträume, die du daraus herleitest, haben zwangsläufig einen Faktor von 1600 (= 40*40) zwischen der unteren und der oberen Abschätzung (weil wir ja die „mittleren 95%“ als „normal“ festgelegt hatten). Das heisst, jedes Zeitalter (z.B. jenes der Computer oder jenes der Menschen) dauert mit 95% Wahrscheinlichkeit noch zwischen 1/40 und 40 Mal so lange, wies schon gedauert hat (bzw., es werden bis zu seinem Ende noch 1/40 bis 40 Mal so viele Menschen geboren wie darin schon geboren wurden). Seit 1950 sind 68 Jahre vergangen – und dass das Zeitalter der „Computer“ noch zwischen 1.7 und 2720 Jahre dauern wird, scheint jetzt nicht völlig abwegig. Oder, um ein anderes Beispiel zu bringen: die USA wurden 1776, also vor 242 Jahren gegründet: das heisst, sie werden wohl noch zwischen gut 6 und knapp 10’000 Jahre weiter bestehen – auch das erscheint plausibel. Am Ende kann man solche Abschätzungen mit allem möglichen machen – und man wird, im Schnitt, in 19 von 20 Fällen damit recht behalten.

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