Die Geschichte der Erde legt nahe, dass es auch anderswo Leben geben muss

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Wie sah die frühe Erde aus? Quelle: NASA's Goddard Space Flight Center Conceptual Image Lab.

Die Sonne steht heute kurz vor der Mitte ihres Lebens – sie wird noch etwa sechs Milliarden Jahre weiter scheinen, bevor sie sich zu einem Roten Riesenstern entwickelt und ihre innersten Planeten schluckt. Doch für das Leben auf der Erde kommt das Ende schon viel früher: schon in etwa einer Milliarde Jahre dürfte der Blaue Planet unbewohnbar sein. Das liegt daran, dass die Leuchtkraft der Sonne heute schon langsam, aber stetig ansteigt: jede Milliarde Jahre legt sie nochmals 10% zu. Die Erde befindet sich nahe der inneren Grenze der ständig bewohnbaren (oder „habitablen“) Zone der Sonne, also dort, wo flüssiges Wasser auf der Planetenoberfläche möglich ist. In etwa einer Milliarde Jahre (plus minus eine halbe Milliarde Jahre) wird die Erde diese Grenze überschreiten und eine heisse Wüstenwelt ohne Ozeane, dafür mit einer Dampftreibhaus-Atmosphäre werden.

Die frühesten gesicherten Lebensspuren auf der Erde sind 3.5 Milliarden Jahre alt, aber es gibt geologische Hinweise darauf, dass die Erde schon viel früher lebensfreundlich war. Das heisst, rückblickend wird die Erde für ein Zeitfenster von fünf bis sechs Milliarden Jahren für Lebewesen bewohnbar gewesen sein. Die Menschheit ist am Ende dieses „habitablen“ Zeitfensters entstanden: je nachdem, wie lange es noch andauert, befinden wir uns heute irgendwo zwischen dem letzten Viertel und dem letzten Zehntel. Diese Beobachtung kann man nun so interpretieren (Carter & McCrea, 1983 und Carter, 2008), dass die Entstehung einer technologischen Zivilisation wie der Menschheit der letzte „schwierige“ (unwahrscheinliche) Entwicklungsschritt in einer Serie ebenso unwahrscheinlicher Entwicklungsschritte in der Evolution ist (das sogenannte „hard steps“ Modell). Warum?

Das Problem kann mit Würfeln vereinfacht werden: seltene Würfelkombinationen stehen für schwierige bzw. unwahrscheinliche Entwicklungsschritte, die überwunden wurden. Sagen wir, wir werfen drei Würfel gleichzeitig so lange, bis alle drei gleichzeitig eine „1“ zeigen („1-1-1“). Im Durchschnitt benötigt man dafür 63 = 216 Würfe. Wenn unser Beobachtungszeitraum auf maximal 20 Würfe beschränkt ist (so wie das Zeitfenster, in dem die Entwicklungsschritte auf der Erde stattfinden können, beschränkt ist), werden wir „1-1-1“ natürlich nur selten (<10%) sehen. Wenn es dann aber doch mal geschieht, ist das Ereignis innerhalb des Beobachtungszeitraums selbst überall etwa gleich häufig, das heisst, im ersten Wurf ist es fast gleich häufig wie im zwanzigsten.

Nun erweitern wir aber unsere Anforderung, und wollen „1-1-1“, gefolgt von „2-2-2“ beobachten, wobei die Anzahl Würfe zwischen den beiden beliebig ist. Wir können aber weiterhin nur 20 Würfe beobachten. Dann brauchen wir natürlich entsprechend mehr Versuche (im Durchschnitt 216 mal mehr), bis beide Fälle innerhalb der ersten 20 Würfe und in der richtigen Reihenfolge eintreten. Es lässt sich mathematisch zeigen, dass in den Fällen, in denen das dann tatsächlich geschieht, die Ereignisse „1-1-1“ und „2-2-2“ mehr oder weniger gleichmässig über die 20 Würfe verteilt sind. Im Schnitt liegen 1/(n+1) der Länge des Beobachtungszeitraums zwischen den n Ereignissen, sowie zwischen dem Anfang bzw. Ende des Beobachtungszeitraums. Jede weitere Bedingung, die man der Serie nun hinzufügt (sagen wir, „1-1-1“ gefolgt von „2-2-2“, gefolgt von „3-3-3“) führt abermals zu einer längeren Wartezeit und einer feineren Aufteilung des Zeitfensters, wobei sich der jeweils letzte Schritt (hier „3-3-3“) immer mehr dem Ende des Zeitfensters nähert.

Angewandt auf die Entstehung der Menschheit stellen diese Würfelabfolgen also seltene Ereignisse in der Evolution dar, die allesamt eine Vorbedingung waren für die Entstehung einer technologischen Zivilisation. Dazu gehört zum Beispiel die Entstehung des Lebens selbst, die Entwicklung von Eukaryoten (Zellen mit Mitochondrien), die Entwicklung von Mehrzellern und so weiter. Das letzte unwahrscheinliche Ereignis in der Serie war die Entwicklung der menschlichen Zivilisation selbst. Wenn sich die Evolutionsgeschichte also wirklich über das „hard steps“ Modell erklären lässt, dann sollten die Entwicklungsschritte etwa gleichmässig über die Geschichte der Erde verteilen. Und je mehr solche Ereignisse nötig waren, desto näher rückt die Entstehung der Menschheit an das Ende des habitablen Zeitalters heran.

Das heisst im Umkehrschluss, dass sich aus der Zeit, die die Erde noch bewohnbar bleibt, in etwa die Anzahl unwahrscheinlicher Ereignisse ableiten lässt, die der Entstehung der Menschheit vorangegangen sind. Heute schätzt man diese, basierend auf der ca. 1 Milliarde verbleibender Jahre, auf etwa fünf Schritte (es könnten aber auch vier oder zehn sein, je nach dem wie lange die Erde noch bewohnbar bleibt). Verteilt man diese fünf Schritte gleichmässig über den habitablen Zeitraum der Erde, ergibt sich ein mittlerer Abstand von etwas unter 1 Milliarde Jahre pro Schritt (allerdings mit breiter Streuung). Tatsächlich fällt auf, dass die wichtigsten Entwicklungsschritte auf der Erde in ungefähr gleichmässigen Abständen auftraten: Die ältesten gesicherten Lebensspuren sind 3.5 Milliarden Jahre alt. Die Anreicherung der Atmosphäre mit Sauerstoff geschah vor 2.5 Milliarden Jahren. Die Eukaryoten entwickelten sich vor 1.9 Milliarden Jahren. Mehrzelliges Leben entwickelte sich vor etwa 1 Milliarde Jahren. Insofern scheint das „hard steps“ Modell im Rahmen der Unsicherheiten gut zur beobachteten Geschichte des Lebens zu passen.

Die Erde hat also quasi den intergalaktischen Jackpot geknackt: hier spulten sich fünf unwahrscheinliche Entwicklungsschritte in relativ kurzer Folge ab (zumindest „kurz“ im Vergleich zu der Zeit, die im Schnitt bis zu ihrem Eintreffen vergehen sollte). Das ist kein Zufall: wäre das nicht der Fall, hätte sich nie „rechtzeitig“ eine Zivilisation entwickelt, und wir wären nicht hier, um dies festzustellen (das nennt man auch das „schwache“ anthropische Prinzip). Doch gleichzeitig heisst das, dass es neben dem „Jackpot“ auch jede Menge „Nieten“ geben muss: Planeten, auf denen nur einer oder zwei der kritischen Entwicklungsschritte rechtzeitig – während dem habitablen Zeitfenster – eingetroffen sind. Oder auch gar keiner.

Natürlich wäre es grundsätzlich denkbar, dass die Erde trotzdem der einzige Planet im Universum ist, auf dem sich Leben gebildet hat, und durch einen riesigen Zufall kamen dann auch gleich alle schwierigen Entwicklungsschritte durch. Aber viel plausibler scheint, dass mit jedem schwierigen Entwicklungsschritt wieder eine grosse Anzahl Planeten aus dem Rennen ausscheidet. Wenn die Chance für die Entstehung einer technologischen Zivilisation (der letzte Schritt) 1:1 Million ist, dann kommen eben auf jeden Planeten mit Zivilisation eine Million Planeten, auf denen sich zwar mehrzellige Lebewesen, aber nie eine Zivilisation gebildet hat. Und auf jeden Planeten mit mehrzelligen Lebewesen kämen unzählige mehr mit einfachem Leben, und so weiter. Wenn das „hard steps“ Modell zutrifft – und danach sieht es in der Geschichte der Erde zumindest aus – dann dürfen wir davon ausgehen, dass es draussen unzählige Welten mit Leben gibt.

Was denkt ihr dazu? Ist die Argumentation vernünftig? Schreibt es unten in die Kommentare!

8 Kommentare

  1. Hallo Bynaus,

    grundsätzlich ist das zwar eine interessante Gedankenspielerei, über die man spekulieren kann, aber aus dem Einzelfall Erde kann man nicht schlussfolgern, dass das „Hard-Step-Modell“ zuzutreffen scheint. Das Modell ist ja erst aus dem Einzelfall heraus deduziert worden. Der induktive Schluss auf dessen generelle Gültigkeit kann mangels verfügbaren Datenmaterials jedoch nicht gezogen werden.

    Man kann dieses Modell jedoch als Arbeitshypothese heranziehen und unter der Voraussetzung der Gültigkeit dieser Annahme weitere Überlegungen anstellen. Dann kommt man z.B. zu solchen Folgerungen, wie Du sie hier aufgeschrieben hast.

    Mir fehlen jedoch noch einige „Hard Steps“ im Werdegang unserer Entwicklung. Ich liste mal auf, was mir so vorschwebt:

    1. Entstehung des Lebens
    2. Entstehung von Eukaryoten
    3. Entstehung von Vielzellern
    4. Entstehung von Tieren
    5. Landgang der Wirbeltiere
    6. Entstehung von Primaten
    7. Entstehung von Menschen
    8. Erfindung der Zivilisation
    9. Erfindung Industrialisierung
    10. Erfindung der Hochtechnologie
    11. Erfindung einer nachhaltigen Ressourcenverwertung
    12. Erschließung außerirdischer Ressourcen (Asteroid mining)
    13. Erschließung außerirdischer Habitate im Sonnensystem
    14. Verlassen des Sonnensystems

    Wir befinden uns gerade vor Schritt 11 und befinden uns zugleich in einer Situation, wo uns die Folgen des Kimawandels beginnen, finanziell über den Kopf zu wachsen. Es könnte sein, dass uns der folgende Schritt nicht gelingt, so dass die nachfolgenden Schritte schlicht unbezahlbar werden. Um einen Zivilisationskollaps zu vermeiden, wird man daher möglicherweise eher in Sicherungsstrategien investieren (Militär, Grenzschutz, Entwicklungshilfe) als in Raumfahrt, die über Satellitentechnik hinausgeht.

    Meine Prognose zur künftigen Entwicklung der Menschheit sieht negativ aus. Wenn nicht kurzfristig Schritt 11 gefunden wird, geht die Weltgemeinschaft düsteren Zeiten entgegen. Die Art und Weise, wie mit der akuten Bedrohung durch den Klimawandel politisch umgegangen wird, lässt keine Hoffnung aufkommen. Der wieder im Aufkeimen befindliche Nationalismus beschleunigt die Abwärtsspirale nur noch, statt sie abzubremsen.

    Es sieht derzeit leider nicht gut aus mit uns. Aber gut, man kann sich ja die Zukunft wenigstens rosa ausmalen, um dem düsteren Teint der Gegenwart etwas pastelligen Rouge zu verleihen … 😉

    • Hallo Mahananda,

      Natürlich – man kann es so formulieren, wie du es getan hast: als Arbeitshypothese. Viel anderes bleibt uns ja nicht, so lange wir nicht andere belebte Welten finden. Was deine zusätzlichen „hard steps“ angeht, die Frage ist halt, welche wirklich „hard“ sind, und welche wirklich als Vorstufen zu einer Zivilisation benötigt werden. Braucht es, zum Beispiel, die Stufe mit den Primaten? (in dem Sinn, wie es Mehrzeller braucht)

      Ich würde die Zukunft nicht ganz so düster sehen – sicher, gegenwärtig läuft vieles in der Welt in die falsche Richtung. Aber vieles läuft eben auch richtig, wenn man sich die Multiplanetare Zivilisation als Ziel gesetzt hat: immer mehr Länder interessieren sich für den Weltraum, es ist absehbar, dass der Zugang dazu günstiger werden wird. Es gibt stetige Fortschritte bei der Elektromobilität und die Stromproduktion aus Erneuerbaren wird immer günstiger. Sicher, wir werden mit dem Klimawandel leben lernen müssen, und das macht die Dinge unnötig schwierig – aber ich glaube nicht, dass dies die Menschheit insgesamt in die Knie (oder für immer auf die Erdoberfläche) zwingen wird.

  2. Ich frage mich, ob die Zeit zwischen den „Hard Steps“nicht zwangsläufig kürzer werden müssten je komplexer das System entwickelt ist ?
    Ich weiß jetzt nicht ob das ein gutes Beispiel ist aber wenn z.b. Einzeller sagen wir einmal eine Million Generationen brauchen um eine Mutation zum Tragen zu bringen, wäre das bei einem Organismus mit einer Million Zellen schon in jeder Generation – wobei die allermeisten dieser Entwicklungen natürlich wieder verschwinden oder keine Auswirkung haben aber im Prinzip sollte ein einfaches System länger stabil bleiben als ein komplexes.
    Das gilt sowohl für biologische als auch für soziale oder technische Systeme.

    • Grundsätzlich ist das Modell natürlich stark vereinfachend: die verschiedenen „hard steps“ könnten natürlich unterschiedlich schwierig sein (im Gegensatz zum Beispiel, wo die Würfelkombinationen jeweils die gleiche Wahrscheinlichkeit haben). Das würde sich dann auch auf die Länge zwischen den „hard steps“ auswirken. Bei einem multizellulären Organismus wirken sich Mutationen (fast) nur dann aus, wenn sie in der „Keimbahn“ stattfinden.

    • Gut möglich, dass ein weiterer „hard step“ zwischen einer technologischen Zivilisation und einer interstellaren / galaktischen Zivilisation steht (ich würde sogar sagen, das ist ziemlich wahrscheinlich). Gemeint war hier bloss der „letzte Schritt“ hin zur Entstehung der Menschheit.

  3. Wirklich sehr interessante Überlegungen. Was ich mich frage ist, ob es da nicht vielleicht noch weitere „hard steps“ geben könnte die wir einfach noch nicht erreicht haben, da noch mal viel unwahrscheinlicher. Also zum Beispiel Entwicklung der Zivilisation hin Richtung Intersolare Zivilisation.
    Ein anderer Gedanke der mir gekommen ist, wäre dass ja ein Planet der länger in der habitablen Zone liegt tendenziell eine gering höhere Wahrscheinlichkeit haben müsste, diese „hard steps“ zu knacken. Denn desto mehr Zeit dieser Plant für die Entwicklung von Leben hat, desto mehr „Würfe“ hat das Leben um diese „hard steps“ zu knacken. So könnte beispielsweise ein Planet in der habitablen Zone um einen K-Stern statt 5 Milliarden gleich 10 bis 15 Milliarden Jahre Zeit haben für das knacken der „hard steps“. Es müsste also Planten geben deren Chancen doch deutlich besser sind als die der Erde. In dem Zusammenhang dürfte auch das Konzept für super habitable Planten von Interesse sein.

    • Es ist richtig, dass ein Planet um einen masseärmeren Stern (z.B. ein K-Stern) längere Zeit in der HZ verbringt und so grundsätzlich eine grössere Chance hat, zusätzliche „hard steps“ zu durchlaufen. Masseärmere Sterne sind ja auch noch häufiger. Die Frage stellt sich dann, warum nicht auch die Erde um einen K-Stern kreist. Darauf sind verschiedene Antworten denkbar: so könnte es zum Beispiel schlicht Zufall sein. Oder aber, die Lebensdauer von Biosphären ist zusätzlich von geologischen Gegebenheiten begrenzt, z.B. wie lange die Plattentektonik auf einem abkühlenden Planeten anhalten kann, wie lange das Magnetfeld aktiv bleiben und so die Atmosphäre des Planeten schützen kann, etc. Drittens haben massenärmere Sterne längere Aktivitätsphasen am Anfang ihres Lebens: diese könnten ein Problem für die Entstehung des Lebens darstellen. Genaueres weiss man nicht, weil wir heute noch keine anderen potentiell bewohnbaren Planeten „aus der Nähe“ kennen. Das wird sich aber in den nächsten Jahrzehnten ändern, wenn Atmosphären von erdähnlichen Exoplaneten via Transit oder sogar direkter Beobachtung analysiert werden können.

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