Die Invasion der Boltzmann-Gehirne

Was klingt wie der Titel eines Trash-Films, basiert in Wirklichkeit auf einer ernsthaften Fragestellung, die viele Kosmologen und Quantenphysiker umtreibt. Ist das Universum nämlich unendlich gross, und wird es beliebig alt, wird es vorwiegend von einer ganz exotischen Art Intelligenz beobachtet: den Boltzmann-Gehirnen.

Boltzmann-Gehirne: Copyright Perimeter Institute
Boltzmann-Gehirne: Copyright Perimeter Institute
Was ist ein Boltzmann-Gehirn? Quantenfluktuationen können mitunter die seltsamsten Dinge geschehen lassen. Man muss nicht einmal so weit gehen: schon bei der thermischen Bewegung von Atomen können unheimliche Dinge passieren. So wäre es zwar ausserordentlich unwahrscheinlich, aber doch nicht ausgeschlossen, dass die Kaffeetasse auf dem Tisch einen spontanen Sprung nach oben macht, weil sich alle Atome, aus der sie besteht, für einen einzigen Moment zufällig in die gleiche Richtung bewegen. Es ist rein physikalisch nicht ausgeschlossen, dass dies passiert, und wenn man genügend viele Kaffeetassen beobachtet, wird man früher oder später (so in einigen Zigilliarden Jahren…) auch eine sehen, die einen solchen Sprung macht. Auch in der Quantenwelt gibt es diese extrem seltsamen, unseren alltäglichen Beobachtungen wiedersprechenden Phänomene, die zwar extrem unwahrscheinlich sind, bei einem genug grossen (sagen wir: unendlich grossen) Universum aber immer wieder mal hier oder dort (einige Zigilliarden Lichtjahre voneinander getrennt) auftreten können. So ist es z.B. extrem unwahrscheinlich, aber nicht ganz ausgeschlossen, dass ein Mensch durch eine Quantenfluktuation aus seinem üblichen Alltag gerissen und spontan auf den Mars getunnelt wird. Natürlich fürchten wir uns nicht vor solchen Phänomenen, weil sie so extrem unwahrscheinlich sind, dass sie wir sie wohl nie erleben werden – aber, und das ist der Punkt, physikalisch gesehen sind sie nicht ausgeschlossen.

Was hat es nun mit den Boltzmann-Gehirnen auf sich? Quantenfluktuationen können auch Materie entstehen (oder verschwinden) lassen. So ist es zwar unwahrscheinlich, aber nicht ganz ausgeschlossen, dass sich irgend ein makroskopisches Objekt spontan aus dem Nichts bildet. Je grösser, je komplexer das Objekt, desto seltener bildet es sich. Aber in einem wirklich unendlich grossen Universum ist eben irgendwann, irgendwo alles möglich. So zum Beispiel ein Gehirn, das mit unserem menschlichen Gehirn vergleichbar ist. Oder ein ganzer Mensch. Oder ein Mensch, der von einer Blase aus atembaren Sauerstoff-Stickstoff-Gas umgeben ist. Oder gleich von einer ganzen Hotelanlage inklusive Swimming-Pool und Gartenrestaurant. Ein solches Gehirn, bzw. ein Mensch, bzw. ein beliebiger, aber spontan gebildeter Beobachter nennt man ein Boltzmann-Gehirn.

Ja aber, kommt jetzt vielleicht ein Einwand, ist denn das nicht so extrem unwahrscheinlich, dass es überhaupt nie passiert? Darauf gibt es zwei Antworten. In einem räumlich unendlichen Universum ist das definitiv nicht der Fall: eine extrem, ja beliebig kleine Zahl, multipliziert mit unendlich, gibt immer noch unendlich. Das heisst, im unendlichen Universum gibt es auch unendlich viele Boltzmann-Gehirne mit sie umgebenden Hotelanlagen inklusive Swimming-Pool und Gartenrestaurant, und in einer unendlich grossen Untermenge davon steht an der Bar bereits ein Martini mit Olive bereit. In einem Universum, das räumlich begrenzt, aber zeitlich unendlich weit in die Zukunft reicht, ist es im Prinzip das gleiche, bloss dass alle Boltzmann-Gehirne ausschliesslich in der fernen Zukunft existieren (je nach dem, wie gross das endliche Universum ist, kann es auch eine endliche Anzahl von ihnen in der Gegenwart geben).

In der Gegenwart nämlich wird die Population der Beobachter (egal ob das Universum endlich oder unendlich gross ist) mit Sicherheit von im entferntesten Sinn menschenählichen Gehirnen dominiert (damit meine ich: egal wie ausserirdisch fremd sie sein mögen, sie haben sich letztlich durch Mutation und Selektion auf einem Planeten gebildet, nicht durch spontane Entstehung aus dem Nichts). Da es offenbar möglich ist, dass sich Beobachter auf „normalem Weg“ bilden (so wie wir), kann man davon ausgehen, dass diese Art von Entstehung sehr, sehr viel häufiger ist als die Entstehung eines Boltzmann-Gehirns (etwa so, wie es sehr, sehr viel wahrscheinlicher und damit auch häufiger ist, dass ein Tropfen auf einem Stein einfach aufgrund der Schwerkraft nach unten fliesst, statt dass er sich spontan in einem Quanteneffekt durch den Stein hindurchtunnelt). Doch das Universum mag nicht überall (oder für alle Zeiten) so lebensfreundlich bleiben, wie es heute ist. Nach allem was wir heute wissen (oder anders gesagt, es deutet heute alles darauf hin, dass es so ist), hatte unser heute beschleunigt expandierendes Universum zwar einen zeitlichen Anfang, aber kein absehbares zeitliches Ende. In einigen hundert Milliarden Jahren wird der Wasserstoff der Galaxien vollständig aufgebraucht sein, und es werden keine neuen Sterne mehr entstehen. Irgendwann werden erst die kurzlebigen, dann auch die langlebigen Sterne erlöschen, und am Ende wird die Materie unserer Galaxis zu einem gigantischen Schwarzen Loch zusammenstürzen, das durch unglaubliche Entfernungen vom nächsten gigantischen Schwarzen Loch getrennt ist. In noch unglaublicheren Zeiträumen werden diese Schwarzen Löcher dann wider verdampfen, bis das Universum wirklich komplett leer ist und nur noch von der immer stärker „verdünnten“ Hintergrundstrahlung dominiert wird (die Verdünnung geschieht über die dann vermutlich immer noch anhaltende Expansion des Universums). Diese unglaublich leere, ferne, lebensfeindliche Wüste aus fast Nichts ist der natürliche Lebensraum der Boltzmann-Gehirne: hier haben sie eine Ewigkeit Zeit, um aus dem Nichts aufzutauchen und sich über die unglaubliche Leere um sie herum zu wundern (da zu ihrer Entstehung immer eine gewisse Konzentration von Strahlung nötig ist, brauchen sie, mit zunehmender Expansion des Universums und dem konstanten Schwächerwerden der Hintergrundstrahlung, immer länger um spontan zu entstehen. Aber wen interessiert das, wenn man eine Ewigkeit Zeit hat?). Gemessen an den unendlich langen Zeiträumen, in denen unendlich viele Boltzmann-Gehirne Zeit haben, im Gartenrestaurant ihrer Hotelanlage, mit Blick über den Swimmingpool und die Leere dahinter, an ihrem Martini (mit Olive) zu sippen und sich Gedanken über ihre Lage zu machen, ist unsere eigene, heutige Existenz unglaublich einzigartig.

Wir Menschen sind keine Boltzmann-Gehirne, soviel ist klar. Nun gibt es – einmal mehr – zwei Möglichkeiten. Entweder gehören wir zu einer extrem seltenen Form von Beobachtern im Universum, sind also etwas extrem Besonderes angesichts der sehr viel häufigeren Boltzmann-Gehirne in der fernen Zukunft. Oder aber, das Universum ist derart beschaffen, dass Boltzmann-Gehirne niemals in so überwältigender Zahl entstehen können. Nehmen wir an, wir seien typische Beobachter des Universums, dann kann das Universum nicht beliebig alt werden: irgendetwas in den Naturgestzen unseres Universums muss – unter der Annahme, wir Menschen als nicht-Boltzmann-Gehirne seien typische Beobachter – die Invasion der Boltzmann-Gehirne verhindern. Oft reicht es schon, wenn sich gewisse Naturkonstanten über sehr grosse Zeiträume verändern: je nach dem ist es dann möglich, das Universum irgendwie zu „beenden“, bevor all die Martini-sippenden Boltzmann-Gehirne aus dem Nichts ploppen.

Arxiv-Preprint zum Thema

3 Kommentare

  1. In einem unendlichen Universum gibt es alles (wirklich alles!), und zwar unendlich oft.
    Selbst wenn das Universum den uns bekannten physikalischen Gesetzen folgt und bestimmte Dinge demnach nicht möglich wären – Es werden auch alle erdenklichen und nicht-erdenklichen physikalischen Gesetze unendlich oft auftreten, im Laufe der Unendlichkeit der Zeit.

    So sehe ich das zumindest! 😉

  2. Lieber unbekannter Gast, du schriebst:
    „By Unbekannter Gast, 10. April 2009 @ 03:31
    Lieber \”D\”
    bitte schreibe spekuliert nicht mit \”ck\” es tut weh!
    das Wort kommt nicht von \”SPECK\”“

    Oh, ich wollte niemanden verletzten. Ich hoffe, das mir dieser Fehler nicht noch mal unterläuft.

3 Trackbacks / Pingbacks

  1. 2012 gibt’s auf die Zwölf? – Das Ende naht seit Weltbeginn! | Zukunftia
  2. Anonymous
  3. Wie entstehen Boltzmann-Gehirne? - Deutsch Fornoob

Kommentare sind geschlossen.