Keiner zu klein, ein Einstein zu sein!

Im Internet greift ein Phänomen um sich: immer mehr Leute sehen sich zum neuen „Einstein“ berufen und verkünden allen, die es hören wollen (und allen anderen auch), warum Einstein falsch lag, warum uns alle Wissenschaftler nur belügen wollen und warum ausgerechnet SIE die Antwort auf alle Probleme der Welt haben.

Einstein, Vorbild
Einstein, Vorbild
Auf englisch werden diese Leute auch mal etwas unfreundlich als „Cranks“ oder „Crackpots“ bezeichnet. Eine typische „Crackpot“-Geschichte geschieht immer nach dem gleichen Muster.

Der zukünftige Crackpot (nur die wenigsten sind weiblich), mit einem gewissen Interesse für Physik und Astronomie und einem grossen Ego ausgestattet, liest sich in irgend einem Satz eines populärwissenschaftlichen Buches fest und sagt sich: „Das kann doch nicht sein!“ Der zukünftige Crackpot sagt sich, dass hier ein Fehler vorliegen muss, denn er versteht nicht, was da steht – und er schliesst daraus, dass der Autor des Buches, oder gleich der Autor der Theorie, von der im Buch die Rede ist (in der Regel Einstein), falsch gelegen haben müssen. Natürlich bildet sich der Crackpot ein, dass er der einzige ist, dem dieser „offensichtliche“ Fehler aufgefallen ist – zur Sicherheit geht er mal ins Internet.

Und siehe da, er trifft auf jede Menge Gesinnungsgenossen – allesamt Leute, die über dieselbe Stelle im selben Buch gestolpert sind. Das ist gut so, dafür ist das Internet auch da. Doch anstatt versuchen herauszufinden, was sie nicht verstanden haben, beginnen die Crackpots, sich gegenseitig in ihrem Ego zu bestärken: „Da muss offensichtlich ein Fehler vorliegen“ – „Einstein muss sich geirrt haben“ – „Aber warum werden dann seine Bücher noch immer verbreitet?“ – „Nun, vermutlich werden Meinungen wie unsere unterdrückt…“

Bam! Und schon strickt sich unser Crackpot seine eigene Verschwörungstheorie. Umgeben von seinen Crackpotfreunden, die ihn immer wieder in seinem Vorhaben bestärken, entwickelt unser Crackpot vielleicht sogar seine eigene „Alternative“ zu Einstein (obwohl er natürlich keinen physikalischen oder mathematischen Hintergrund hat). Er präsentiert sie seinen Freunden, und die, schwer beeindruckt, loben ihn dafür: „Genau so könnte es sein!“ – „Klingt logisch!“ – „Endlich jemand, der die Dinge beim Namen nennt!“ Und so weiter.

Dann macht sich der Crackpot auf in die Weiten des Internets, um andere Foren und Newsboards mit seiner „Erkenntnis“ zu beglücken. Widerspruch duldet er nicht, schon gar nicht von denen, die Einstein verteidigen (der ist für ihn ja ohnehin nur ein Mythos, eine grosse Lüge…). Alle Wissenschaftler sind nun für ihn zu seelenlosen Automaten geworden, die tumb wiederholen, was ihnen in der Schule eingetrichtert wurde: Er gewöhnt sich an, sie mit dem Verweis auf „Betrug in der Wissenschaft“, „Galilei hat man auch nicht geglaubt!“ abzukanzeln.

Nichts und niemand kann ihn mehr von seiner Ãœberzeugung abbringen. Er hat sich so sehr darin verrannt, dass er glaubt, dass eine grosse Zukunft auf ihn wartet: eines Tages, so denkt er stolz, wird die Geschichte mich in einem Atemzug mit Newton, Galilei und Einstein nennen! Die tragische Geschichte hat kein Ende, sie geht tagtäglich weiter, auf unzähligen Webseiten im Internet.

Woher kommt das? Einerseits ist in unserer Gesellschaft, genährt von unzähligen einschlägigen Geschichten und Filmen, der Mythos vom „einsamen Genie“, das in seinem Hinterkämmerchen an einer genialen Theorie arbeitet, weit verbreitet. Einstein selbst hat diesen Mythos durch seine Lebensgeschichte genährt: er war Angestellter in einem Patentamt, als er nebenbei seiner Relativitätstheorie entwickelte (wohlgemerkt, nachdem er bereits Phyisk studiert hatte! Aber das geht gerne vergessen…).

Ein weiterer Mythos unserer Gesellschaft ist jener vom „verkannten Genie“, dessen geniales Werk zuerst von niemandem anerkannt wird, der aber unerbittlich dafür weiterkämpft und schliesslich triumphiert (oder heroisch beim Versuch stirbt oder gar ermordet wird). Tatsächlich gab es eine Reihe solcher Durchbrüche und Schicksale, das steht ausser Frage. Unser Bild der Welt hat sich immer wieder gewandelt, und es wird sich auch in Zukunft immer wieder wandeln. Trotzdem ist das Bild insofern falsch, dass die meisten dieser „neuen Weltbilder“ tatsächlich scheiterten – nur eine kleine Minderheit dieser Revolutionen setzte sich durch, die anderen erwiesen sich als unhaltbar. Die meisten der „verkannten Genies“ waren also „zu recht“ verkannt.

Weiter ist es natürlich so, dass dieses unerbittliche Kämpfen sich nicht in Internetforen und Newsboards abspielen kann: „Kampf“ bedeutet in der Wissenschaft die Publizierung von guten, überprüfbaren Daten, die nur mit der eigenen, „verkannten“ Theorie Sinn machen, mit der „herkömmlichen“ Theorie hingegen nicht. Durch Experimente, und NUR durch Experimente, kann entschieden werden, ob eine neue Theorie mehr Sinn macht als die Herkömmliche. Die meisten Crackpots hingegen glauben, durch „Gedankenexperimente“ (die auch Einstein mochte, als Ergänzung und zur Veranschaulichung) allein zum Erfolg zu kommen, ohne jemals Experimente durchführen zu müssen. Weiter muss eine neue Theorie überprüfbare Vorhersagen machen, die mit der herkömmlichen Theorie nicht erwartet werden. So sagte Einsteins Relativitätstheorie eine Verschiebung der scheinbaren Position von Sternen nahe der Sonne vorher – dies konnte bei einer Sonnenfinsternis dann auch tatsächlich beobachtet werden – mit Newton allein wäre das nicht möglich gewesen.

Neue Theorien, die durch gute Experimente gestützt werden (und die im Einklang mit allen alten Experimenten stehen), haben es nicht mehr schwer, sich durchzusetzen. Es gibt keine Zensurorgane in der Wissenschaft (manchmal wird behauptet, die wissenschaftlichen Zeitschriften würden Arbeiten zensurieren: diese lehnen aber nur die Arbeiten ab, die nicht den wissenschaftlichen Standards genügen – niemals aber werden Arbeiten bloss wegen ihres Inhalts oder der Theorie, der sie anhängen, abgelehnt.

Der dritte Grund für die zunehmende Verbreitung von Crackpots ist (neben diesen beiden Mythen) die Entwicklung hin zum Expertentum. Unsere Welt wird immer komplexer – um die unterliegenden Prozesse zu verstehen, müssen wir immer mehr auf „Experten“ zurück greifen, Leute, die sich ihr halbes Leben lang mit dem jeweiligen Prozess befasst haben. Diese Experten brechen dann ihr Wissen für den Durchschnittsbürger hinunter und erklären uns mehr oder weniger verständlich ihre Welt. Wissenschaftler sind natürlich auch nur eine Art dieser Experten: sie erklären uns das funktionieren der physikalischen Welt. Mit dem zunehmenden Zurückgreifen auf Experten sinkt auch das Vertrauen in sie: man bezeichnet sie gerne als „Betriebsblind“, sie „Sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr“, etc. – das mag natürlich für einzelne zutreffen, für alle trifft es natürlich nicht zu (was würde das über unser Bildungssystem aussagen, wenn Leute sich ein halbes Leben mit einem Thema auseinander setzen und es noch immer nicht verstehen?). Trotzdem, diese in kleinen Dosen gesunde Skepsis gegenüber den Experten führt dazu, dass Crackpots glauben, auch ohne wissenschaftlichen Hintergrund, ohne tiefere Kenntnis ein qualifiziertes Urteil über die Meinung eines Experten fällen zu können – dabei merken sie nicht, dass sie nur über die Vereinfachung, die Veranschaulichung urteilen.

Einige Wissenschaftler haben es sich zur Lebensaufgabe gemacht, den Menschen die physikalische Welt verständlich näher zu bringen. Harald Lesch etwa, der in seiner Sendung „Alpha Centauri“ die Wunder des Universums erklärt, oder Phil Plait, der auf seiner Webseite BadAstronomy.com gegen Astronomie-Crackpots anschreibt. Andere diskutieren in Diskussionsforen mit Crackpots – oft vergebens und man trennt sich im Streit, es endet meist mit dem Ausschluss des Crackpots aus dem Forum.

Wie geht man mit Crackpots um? Am besten, man lässt sie in Ruhe, man ignoriert sie. Keine Angst: sollte an ihrer „Theorie“ etwas dran sein, dann werden die Experimente das schon zeigen – wenn nicht, dann war es die Mühe ohnehin nicht wert. Weiter sollte man skeptisch sein, nicht (nur) gegenüber Experten, sondern vor allem gegenüber Crackpots. Man sollte im Hinterkopf behalten, dass die meisten dieser Theorien nichts wert sind und von einem Experten in kürzester Zeit glaubwürdig zerpflückt werden könnten, wenn dieser sich denn die Mühe machen würde. Also, das nächste Mal, wenn von „die Relativitätstheorie ist falsch!“ – „Die Erde ist erst 6000 Jahre alt!“ – „Die Erde ist eine Scheibe!“ die Rede ist: ignorieren. Wenn wirklich etwas dran ist, dann wird man das noch früh genug hören.

BadAstronomy

Alpha Centauri von H.Lesch

Talkorigins gegen Kreationismus-Crackpots

Ein ausgezeichneter Artikel über „Theorie in der Wissenschaft“

Um Crackpot-Seiten zu finden, muss man bloss einen angeblich ketzerischen Ausspruch wie „Die Relativitätstheorie ist falsch“ bei einer Suchmaschine eingeben… Zum Beispiel so:

Google:“Die Relativitätstheorie ist falsch“