Wir alle sind heisse Exoten

Der Saturnmond Titan fasziniert: als einziger Mond verüfgt er über eine Atmosphäre, er hat ein aktives Wettergeschehen, Flusstäler und aktiven Vulkanismus. Unter seiner Oberfläche verbirgt sich vermutlich ein globaler Ammoniak-Ozean, der selbst bei Temperaturen unter Null Grad Celsius nicht gefriert. Einige beginnen, über Leben auf Titan zu spekulieren.

 Der Saturnmond Titan
Der Saturnmond Titan
Titan galt lange als Beispiel für die „frühe“ Erde, wie sie kurz nach ihrer Entstehung vor viereinhalb Milliarden Jahren existierte. Er hat, wie die Erde, eine dichte Stickstoffatmosphäre – er ist sogar der einzige Mond im Sonnensystem, der über eine nenneswerte Atmosphäre verfügt. Ausser Stickstoff finden sich in seiner Atmosphäre auch Spuren von Methan und komplexen organischen Kohlenwasserstoffen wie Ethanol und Acetylen.

Im Gegensatz zu früheren Erwartungen liessen sich aber auf der Titan-Oberfläche keine Meere aus Kohlenwasserstoffen finden. Nur ein einziger, möglicher „See“ wurde in Polnähe ausgemacht – ansonsten scheint Titan knochentrocken zu sein, obwohl sich auf der Oberfläche viele Anzeichen für die Existenz von Flüssigkeiten finden. So gibt es trockene Flusssysteme, die in Tiefebenen münden. Die Landesonde Huygens, die in einer dieser Tiefebenen (im Bereich eines „Deltas“) gelandet ist, hat eindeutige Hinweise auf Fliessprozesse entdeckt: so finden sich in dieser Ebene gerundete Steine, wie sie nur in Flüssen entstehen können.

Doch um welche Flüssigkeit handelt es sich? Vieles deutet darauf hin, dass es sich um Methan handeln könnte. Einerseits pendelt die Temperatur auf Titan in einem Bereich, der sowohl flüssiges, als auch gasförmiges Methan zulässt – ähnlich wie die Temperaturen auf der Erde sowohl flüssiges Wasser als auch gasförmiges („Wasserdampf“) zulassen. Weiter ist der Boden Titans mit Methan getränkt: als die Sonde Huygens im Januar 2005 auf der Titanoberfläche aufsetzte, gab der Boden erst etwas nach und sprang dann zurück. Dann wurde etwas Methan freigesetzt. Genauso würde man es von einem Methangetränkten Boden erwarten.

Wasser gibt es auf Titan nur in gefrorener Form: bei Temperaturen um die -180 Grad Celsius ist es steinhart. Da es gleichzeitig auch sehr häufig vorkommt (rund 50% der Masse Titans bestehen aus Wassereis), ist es ein gesteinsbildendes Mineral. Während auf der Erde die Gesteine vorwiegend aus Silikaten aufgebaut sind, bestehen sie auf Titan etwa zur Hälfte aus Silikaten, zur Hälfte aus Wassereis.

Einige Wissenschaftler machen sich nun Gedanken über Leben auf Titan. Früher wurde dies total ausgeschlossen: bei so tiefen Temperaturen, so die Argumentation, laufen alle chemischen Prozesse so langsam ab, dass kein Leben, wie wir es kennen, denkbar wäre. Das stimmt auch durchaus für die Moleküle, die auf der Erde in organischer Materie eine Rolle spielen. Aber was ist mit anderen Stoffen? Da wäre zum Beispiel Acetylen: auf der Erde wird es in Bunsenbrennern verwendet, es verbrennt sehr heiss und schnell: die Reaktionsenergie wird unter irdischen Bedingungen sehr schnell und heftig frei gesetzt.

Doch die tiefen Temperaturen auf Titan könnten Acetylen bändigen: dort könnten sie genau richtig sein, um Acetylen bei niedrigen Reaktions-Geschwindigkeiten in Methan umzuwandeln, wobei Wärme frei wird. Diese Wärme, so die Idee der Exobiologen, könnten Bakterien nutzen, um eine wässerige Lösung um sich herum zu schmelzen, in denen sie leben können. Das so produzierte Methan steigt auf, und wird in der Hochatmosphäre Titans unter der Sonnenstrahlung wieder gespalten und (unter anderem) zu Acetylen zusammengefügt – der Kreislauf kann von neuem beginnen. Auch weitere Moleküle werden vorgeschlagen, unter anderem auch freie Radikale, die ähnlich grosse Energien liefern könnten.

Titan könnte also eine Welt voller Leben sein – genau wie die Erde. Die Wissenschaftler, die dieses Acetylen-Modell vorschlagen, gehen deshalb noch einen Schritt weiter: Belebte Welten, so schlagen sie vor, könnte man vielleicht daran erkennen, dass sie sehr aktive, dynamische Prozesse aufweisen, dass eine global zugängliche Energiequelle zur Verfügung steht – kurz, sie sind aktive, dynamische Welten, ganz im Gegensatz etwa zum Erdmond oder Merkur. Wer weiss, ob auf einer solchen Acetylen-Bakterien-Basis sich nicht auch höhere Lebensformen entwickeln könnten, etwa solche, die sich von diesen Bakterien ernähren? Eine ganze Nahrungspyramide?

Zurzeit sind solche Spekulationen zwar weit hergeholt, und vermutlich werden sie sich nie bewahrheiten. Aber andererseits kennen wir heute eine einzige, winzige Bildersequenz von der Titanoberfläche, ein paar Meter breit, ein paar hundert Meter weit bis zum nebligen Horizont… was könnte sich auf dieser Welt noch alles verstecken? Eine zukünftige Rovermission, vielleicht sogar erst eine bemannte Mission am Ende des 21. Jahrhunderts wäre notwendig, um diese Frage zu klären. Sollte man tatsächlich Leben auf Titan finden, wäre es von dem uns bekannten Leben so verschieden, dass wir zwei verschiedene Formen von „Leben“ definieren müssten: „Titan-Leben“, das auf Acetylen dessen Umwandlung in Methan basiert, und das altbekannte „Erd-Leben“, das auf Photosynthese, Kohlenstoff und Sauerstoff basiert.

Fakt ist: sollte sich Leben auf Titan finden, so dürfte es im Universum viel häufiger verbreitet sein als das Leben, das wir kennen. Jedes Ökosystem hat einen bestimmten Toleranzbereich, in dem es funktionieren kann. Leben, wie wir es kennen, existiert zwischen -5 ° bis +40 °, einige Bakterien überleben sogar bis +120 °. Auch das Titan-Leben hätte einen Toleranzbereich, der vermutlich ähnlich breit bemessen wäre. Da die Energie, die ein Planet von der Sonne erhält, mit zunehmender Entfernung erst steil abfällt und dann flach ausläuft, ist der Bereich, in dem ein Planet mit erdähnlichem Leben überhaupt existieren kann, auf eine kleine Zone beschränkt, eben jenes Gebiet, in dem die Temperatur sich innerhalb der genannten Toleranzwerte befindet. Diese Zone wird oft die „dauernd bewohnbare Zone“ genannt – in unserem Sonnensystem dehnt sie sich von 0.95 bis 1.37 AU aus (1 AU entspricht dem durchschnittlichen Abstand der Erde zur Sonne). Da aber die Energiekurve mit zunehmender Entfernung immer flacher abfällt, führt ein ähnlich grosser Toleranzbereich zu einer viel grösseren „bewohnbaren“ Zone. Die Zone, in dem Titan-Leben existieren könnte, wäre also viel grösser als die Zone, in der „Erd-Leben“ existieren könnte.

Wenn diese Zone so viel grösser ist, ist die Chance, dass sich innerhalb dieser Zone tatsächlich ein Planet befindet, ebenfalls grösser – vermutlich könnte es fast in jedem System einen „Titan“ geben. Wenn wir davon ausgehen, dass „Titan-Leben“ und „Erd-Leben“ etwa die gleiche Chance haben, höheres und sogar intelligentes Leben hervor zu bringen, dann sollte es im Universum vor allem intelligentes „Titan-Leben“ geben.

Aus der Sicht von solchen intelligenten „Titan-Leben“ Ausserirdischen wären wir „heisse Exoten“: wir leben auf einem Planeten, der zu 70% von einem flüssigen Stoff bedeckt ist, der in ihren Welten höchstens als „Gestein“ vorkommt – Wasser. Flüssiges Gestein also, kombiniert mit mörderischen Temperaturen (aus ihrer Sicht) und einer ganz anderen Chemie, die den hohen Temperaturen angepasst ist. Da sie vermutlich nur „Titan-Leben“ kennen würden, wären wir für sie wahre Exoten. Vielleicht gäbe es da einen Ausserirdischen, der über die Erde schreibt: „Trotz den äusserst extremen Temperaturen und den Ozeanen aus flüssigem Gestein, gibt es auf dieser Welt doch eine Form von Leben. Wie faszinierend das Universum doch ist!“

6 Kommentare

  1. Atome sind Gebilde mit wenigen,überschaubaren Eigenschaften, deswegen kann ich mir leicht vorstellen, dass die Prozesse des Lebens ein anderes Substrat nutzen, wie man auch das Alphabet austauschen kann, ohne dass die Bedeutung des Textes sich ändert.

  2. @Heraklit:
    Ich halte es für extrem unwahrscheinlich daß wir in einem Universum leben, in dem mehr als eine Möglichkeit für Leben existiert. Daß es überhaupt einen Weg dahin gibt ist extrem unwahrscheinlich, daher genügt imho ein Beobachter um diese Feststellung zu tätigen.

    Leben ist zudem ziemlich klar definiert: eine chemische Reaktion, die sich fortpflanzt und stoffwechselt. Man darf das nicht mit Bewußtsein verwechseln.
    Also ist nicht jede chemische Reaktion mit Leben gleichzusetzen, sonst wäre praktisch jeder Katalysator lebendig.

    Gruß Alex

  3. Natürlich ist Zeit relativ, wenn der Löwe sich mit 2km/h bewegt kann auch die Antilope sich leisten, langsam zu sein.
    Davon abgesehen sind die Möglichkeiten für \“exotisches\“ Leben grenzenlos, es muss nicht einmal auf der Basis von Atomen bestehen. Gut möglich, dass es physikalische Prinzipien nutzt, die noch niemand entdeckt hat.

    Doch selbst, wenn man konsevativ bleiben will- ist nicht auch eine Biochemie denkbar, die ohne Solvationsmittel ganz in der Gasphase arbeitet und in der die Äquivalente von Enzymen und Nukleinsäuren als freie Partikel oder an Membranen angelagert vorkommen. Bedingung für Leben ist lediglich Energiefluss und eine gewisse Kompartimentierung,
    die durch größere und kleinere Hohlräume verwirklicht werden kann.

  4. Dieser Einwand wird oft gebracht – aber es geht dabei vergessen, dass es natürlich auch chemische Reaktionen gibt, die sehr viel schneller ablaufen als unsere typische irdische Biochemie. Dass auf Titan erst 20000 \“biochemische Jahre\“ vergangen sind, heisst nur, dass sich dort bisher kein Leben entwickeln konnte, das auf einer \“erdähnlichen\“ Biochemie basiert. Leben auf der Basis von anderen Biochemien (wie das genannte Beispiel Acetylen) schliesst das nicht aus.

  5. Was die Möglichkeit für Leben in solchen extrem kalten Habiaten angeht bin ich sehr pessimistisch. Das liegt nicht so sehr daran daß es für die Chemie partout keine Möglichkeit geben könnte, hier nicht doch etwas Selbstreproduktives auf die Beine zu stellen sondern schlicht daran, daß die Chemie bei diesen Temperaturen extrem langsam vonstatten geht.
    Und zwar so langsam daß bei Anwendung der RGT-Regel auf Titan (rein chemisch gesehen) an der Oberfläche seit seiner Entstehung gerademal 20.000 Jahre vergangen sind.
    Nun mag die RGT-Regel hier etwas hinken, aber es verdeutlicht bereits, daß hier die Umgebungstemperatur als Aktivator spontaner Reaktionen die komplexere Moleküle bilden sollen ganz einfach fehlt.

    Gruß Alex

  6. Zumindest Bakterien rund um die sog. \“Schwarzen Raucher\“ beweisen, dass Leben auch ohne Licht und Sauerstoff bei extremen Druck und extremen Temperaturen eine Nische finden kann. Es wird aber wohl nie ein Ufo bauen…

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