Das erste künstliche Gravitationsfeld

Künstliche Gravitationsfelder gibt es nur in der Science Fiction – bis jetzt. Diesen Frühling ist es Wissenschaftlern gelungen, eine Art künstliches Gravitationsfeld zu erzeugen: Es hat zwar nur die lokale Stärke eines Hundertstels eines Prozents der Erdanziehung: Doch das ist rund hundert Millionen Billionen mal stärker als erwartet.

Antigravitation?
Antigravitation?
Bei Meldungen wie dieser sollte man skeptisch sein: Doch die österreichischen Forscher um Martin Tajmar waren es auch. Sie führten rund 250 einzelne Messungen, verteilt über einen Zeitraum von mehreren Jahren durch. Sie verbesserten die Messvorrichtung wiederholt, um jede erdenkliche Fehlerquelle auszuschliessen: Schliesslich diskutierten sie die Ergebnisse intensiv für 8 Monate – nun sind sie sich sicher, einen realen Effekt gemessen zu haben: Das erste künstlich erzeugte Gravitationsfeld.

Die Gravitation ist die schwächste, aber auch geheimnissvollste der vier bekannten Naturkräfte (die anderen sind Elektromagnetismus sowie die starke und die schwache Kernkraft): Bisher ist es nicht gelungen, sie im Rahmen der Quantentheorie korrekt zu beschreiben: Trotz jahrzehntelanger Suche gibt es noch immer keine überzeugende „Quantentheorie der Gravitation“. Die Gravitation wird aber ihrerseits äusserst zuverlässig durch die Relativitätstheorie von Einstein beschrieben: Diese aber macht keinerlei Aussagen über die anderen Naturkräfte. In der Relativitätstheorie ist die Gravitation keine Kraft im üblichen Sinne: Sie wird nicht durch Teilchen übertragen, sondern ist die Konsequenz der Verzerrung der Raumzeit durch die Anwesenheit von Materie oder Energie. So wie im beliebten Vergleich eine Kugel auf einem gespannten Gummituch durch die Anwesenheit einer anderen, schwereren Kugel auf ihrer Bahn abgelenkt wird, sind gemäss der Relativitätstheorie „geometrische“ Effekte der Raumzeit (dem Gummituch) dafür verantwortlich, wenn die Gravitations“kraft“ auf ein Objekt wirkt.

Die Relativitätstheorie und die Quantentheorie sind bis heute nicht zu vereinbaren – trotzdem sind beide Theorien in unzähligen Experimenten immer und immer wieder bestätigt worden: Sie sind beide „richtig“ in dem Sinne, dass sie jeweils in ihrem Bereich korrekte Voraussagen machen. Es scheint so, als seien sie zwei Seiten derselben Sache: Und genau nach dieser „Sache“ wird seit Jahrzehnten gesucht: Einer mathematisch-physikalischen Beschreibung aller Naturkräfte. Diesem Ziel ist man jetzt, mit den Forschungen von Tajmar und seinen Mitarbeitern, vermutlich ein gutes Stück weit näher gekommen.

Das Labor
Das Labor
Die Wissenschaftler, die für ihre Arbeit von der europäischen Weltraumorganisation ESA unterstützt wurden, beobachteten das sogenannte „gravitomagnetische Feld“ eines mit 6500 Umdrehungen pro Minute rotierenden Supraleiter-Ringes. Dieses Feld hat nichts mit Magnetismus zu tun, obwohl es diesen im Namen führt. Gemeint ist die Ähnlichkeit in der Entstehungsweise des Feldes: Genauso bewegte elektrische Ladungen ein „elektromagnetisches Feld“ erzeugen, bringen bewegte Massen (die „Ladung“ der Gravitation) schwache Gravitationsfelder, eben „gravitomagnetische“. Die Relativitätstheorie sagt voraus, dass diese Felder extrem schwach sein müssten – weit unter der Messgrenze für ein so kleines, massearmes Objekt wie einen rotierenden Supraleiter. Der jetzt gemessene Effekt übersteigt die Voraussage der Relativitätstheorie um erstaunliche 100 Millionen Billionen: er entspricht erstaunlichen 0.01% der Erdbeschleunigung (tatsächlich handelt es sich dabei meines Wissens um das erste Mal, bei dem sich eine Voraussage der Relativitätstheorie nicht bewahrheitet hat).

Dieses gravitomagnetische Feld trat toroidal zum Supraleiter auf: Das heisst, ein Masseteilchen, das von diesem Feld beeinflusst wird, würde den Supraleiter-Ring umkreisen, etwa so, wie ein Kupferdraht um eine Magnetspule gewickelt wird. Das Feld trat immer dann auf, wenn der rotierende Supraleiter beschleunigte, das heisst, wenn sich seine Rotationsgeschwindigkeit vergrösserte: Rotierte er konstant mit der gleichen Geschwindigkeit, blieb das Feld aus. Gemessen wurde das Feld mit hochempfindlichen Beschleunigungs-Sensoren, die innerhalb, direkt daneben, darüber sowie in einiger Entfernung zum Supraleiter-Ring positioniert wurden. Die Messungen zeigten, dass dieses künstliche Gravitationsfeld genau wie seine „natürlichen“ Gegenstücke mit dem Quadrat des Abstandes abnimmt.

Der Effekt im Schema
Der Effekt im Schema
Die Wissenschaftler versuchten dann, den Effekt mathematisch zu beschreiben: Bekannt war bereits, dass rotierende Supraleiter (also Stoffe, die unter einer bestimmten Temperatur keinen elektrischen Widerstand besitzen) ein schwaches Magnetfeld aufweisen, das sogenannte „London Moment“. Um die beobachteten Effekte zu erklären, übertrugen die Wissenschaftler die sogenannten Maxwell-Gleichungen, die den Elektromagnetismus beschreiben, auf die Gravitation und modifizierten sie derart, dass sie ein „gravitomagnetisches London Moment“ enthalten. Dieses, zusammen mit der Annahme, dass hypothetische „Gravitonen“ in derselben Art „supraleitende Eigenschaften“ vermitteln können wie die Photonen beim Elektromagnetismus, erlaubte ihnen, den berechneten Effekt zu modellieren.

„Rotierende Supraleiter“ traten bereits einmal im Zusammenhang mit „künstlichen Gravitationsfeldern“ auf: In den neunziger Jahren behauptete der Russe Podkletnov, der an der Universität in Tempere in Finnland arbeitete, mit rotierenden Supraleitern eine „Abschirmung“ der Gravitation erreicht zu haben – über seinem Supraleiter, so behauptete er, wäre die Gravitation um einige Prozent verringert worden. Diese Ankündigung stiess weltweit auf ein breites Echo, und verschiedene ähnliche Experimente wurden aufgebaut: Keinem gelang eine international überzeugende Bestätigung. Letztes Jahr wurde allerdings bekannt, das der amerikanische Rüstungskonzern Boeing an einem Projekt arbeitet, das mit künstlichen Gravitationsfeldern zu tun haben soll – doch hier ist alles sehr vage. Das neue Experiment von Tajmar und seinen Mitarbeitern setzt nun eine neue Grenze für sogenannte „Abschirmungseffekte“: sie können innerhalb der Messgenauigkeit (und diese ist, aus naheliegenden Gründen, sehr hoch) ausgeschlossen werden: Es wurde keine „Gravitationsabschirmung“ irgend einer Art beobachtet.

Welche Auswirkungen hat dieses faszinierende Experiment auf uns? Wenn der Effekt von anderen Wissenschaftlern unabhängig bestätigt werden kann, dürften die Auswirkungen weitreichend sein. Künstliche Gravitationsfelder könnten eine sehr breite Anwendung finden, von alltäglichen Arbeiten bis zur Raumfahrt. Zurzeit sind die damit erzeugbaren Felder sehr gering, doch es wäre interessant zu wissen, ob sich der Effekt skalieren lässt: rotiert der Supraleiter schneller, oder nimmt man einen grösseren Supraleiter – lassen sich damit stärkere Gravitationsfelder erzeugen? Wäre es vielleicht möglich, Gravitationsfelder zu erzeugen, die stark genug sind, um sie in der bemannten Raumfahrt einzusetzen, sei es, in einer Form eines neuen Antriebs, oder auch, um die gesundheitsgefährdende Schwerelosigkeit während langer Raumflüge aufzuheben? Welche Modifikationen der Relativitätstheorie werden nötig sein, um diesen Effekt zu erklären? Führen solche Modifikationen vielleicht gar zu der lange gesuchten umfassenden Theorie aller Naturkräfte? Zurzeit ist höchstens eine Art „verhaltene Euphorie“ angesagt: Die Ergebnisse müssen noch verifiziert werden, andere Erklärungen müssen geprüft und ausgeschlossen werden, bevor wir wirklich über den umfassenden Einsatz von künstlichen Gravitationsfeldern nachdenken können.

Original-Artikel bei der ESA

Einführung zum Effekt (PDF)

13 Kommentare

  1. Schaun wir mal —

    Rein „zufällig“ befasse ich mich auch mit dem Thema und habe dazu
    auch eine Lösung.
    Sie ist aber recht unkonventionell und basiert auf der Anwendung
    der 3-Achsen-Phasenrotation mit HF.
    Bin auch bereit, dies mit nicht ganz laienhaften Interessenten
    zu besprechen und konstruktive Modelle in Auftrag zu geben.

    Wäre vielleicht schon bedeutend weiter, wenn das nötige Kapital
    nicht fehlte – aber als Bittsteller in der Staatsbürokratie bin
    ich nicht geeignet.
    Nach meinen Theoretischen Unterlagen wird nicht die Gravitation,
    sondern die Gravitative Anziehungskraft am Probekörper in Folge einer rotorisch gegensinnigen Überlagerung auf Null gesetzt, was einer starken Wirkung entspricht.

    Vieleicht gibt es hier ja auch Verbindungen zu echten Forschern auf
    dem Gebiet – was allerdings sehr unwahrscheinlich ist.

    mit Freundlichem Gruss
    W.Schneider

  2. Wie währe es wenn man den ganzen versuch im weltall versuchen würde da dann die gravitation besser zu messen ist weol die erdanziehungskraft nicht vorhanfen ist.

  3. Wenn es sich um einen Gravitations-Effekt handelt, ist es mir ein Rätsel, dass offensichtlich in dem Zusammenhang noch keiner einen Zeitdilations-Effekt festgestellt, oder gemessen hat!

  4. @unbekannter:
    Zitat: \“könnte das interstellare reisen ermöglichen\“. Klar doch, Du mußt nur aufpassen daß Du nen Regenschirm trägst wenn dann Mond, Venus, Mars und Sonne Dir auf den Kopf fallen.
    Selbst wenn an dem Experiment was dran sein sollte und auch stärkere Gravitationsfelder möglich wären: wie wollte man die denn anwenden, ohne daß andere Körper im Sonnensystem dann Samba tanzen?
    Da das ganze jetzt noch relativiert wurde (\“muß nur kalt sein aber kein Supraleiter\“) würde ich es in die Abteilung \“Andere Effekte/Meßfehler\“ weiterleiten. Kalte rotierende nicht(supra)leitende Dinger gibts genug im Universum, ohne daß man von denen einen Effekt erwaertet (mal sehen wann der erste schreibt, daß dieser Effekt also die Galaxiendrehung erklärt und wir daher keine Dunkle Materie benötigen…).

    Gruß Alex

  5. wow das hätte ich nie gedacht also wenn sich das ganze nicht als schwindel oder fehler rausstellt könnte das interstellare reisen ermöglichen. wenn man beliebig starke gravitationsfelder herstellen könnte auf alle fälle. Ein raumschiff das per swingby um ein künstliches schwerkraftfeld ständig beschleunigt. falls die M-Theorie stimmt wäre auch komunikation zwischen branen denkbar. ich wette es gäbe noch eine million anderer anwendungsgebiete auch wenn das gravitationsfeld nicht sehr stark ausfallen würde evtl könnte man es künstlich konzentrieren ein weiterer artikel zu dem Thema wäre äusserst wünschenswert.

  6. Ich plane mittelfristig ein Update bzw einen weiteren Artikel zu diesem Thema. Nur soviel: Man hat versucht, den Effekt unabhängig zu reproduzieren (eine Gruppe in Neuseeland) – in diesen Daten zeichnet sich zwar ein Effekt ab, aber er ist nicht signifikant, dh, nicht stark genug, um ihn unzweideutig von zufälligen Fluktuationen zu unterscheiden. Weiter ist es so, dass Tajmar festgestellt hat, dass die Ringe nicht supraleitend sein müssen, um den Effekt zu zeigen – es reicht, wenn sie eine bestimmte Temperatur unterschreiten.

    Wer auf dem Laufenden bleiben will, kann bei arxiv.org Suchen, wobei im Suchfeld Author \“Tajmar\“ eingegeben werden muss. Das gibt zumindest einen groben Überblick.

  7. Wenn ich richtig rechne, wäre der Effekt dann immerhin noch 0,000455% der Erdanziehungskraft und damit 4,55 Millionen Billionen mal größer als von der Relativitätstheorie vorhergesagt. Reicht dieser Maßstab denn schon aus um das Experiement zu entkräften? Gibt es was neues zu dem Thema?

  8. Hier ist ein sehr interessanter Artikel einer anerkannten Kapazität, Raymond Y. Chiao, vom 5. Februar 2007, in dem auch ausführlich auf das Experiment von Martin Tajmar eingegangen wird: http://www.arxiv.org/PS_cache/gr-qc/pdf/0610/0610146.pdf

    Wer sich für Sender, Empänger und Spiegel für Gravitationswellen im Labormaßstab interessiert, sollte das unbedingt lesen.

    Und nein, es sind dazu weder neuartige Physik, noch Dunkle Energie oder Schwarze Löcher erforderlich; ein genauerer Blick auf die bekannte Physik genügt, und man braucht – wer hätte das gedacht – Supraleiter.

    Das erhöht natürlich die Wahrscheinlichkeit für einen echten, reproduzierbaren Effekt enorm. Es wird also richtig spannend.

    Wenn sich die Vorschläge von Prof. Chiao in der Natur realisieren lassen (schon 2002 vorgestellt, hier mit mehr Mathematik: http://www.arxiv.org/PS_cache/gr-qc/pdf/0204/0204012.pdf), dann müsste man das SETI Projekt auf Gravitationswellen umstellen – weil nur technologisch unterentwickelte Anfänger das mit gewöhnlichen Radiowellen versuchen …

  9. Die Messungen der Gruppe um Martin Tajmar haben es am 14.11.2006 auch in wissenschaft.de zu einer News-Meldung gebracht: http://www.wissenschaft.de/wissenschaft/news/271755

    Der gravitomagnetische Effekt an sich, der mit normalem (Elektro-) Magnetismus nichts zu tun hat, ist eine Vorhersage der ART, und damit ganz normale Physik, und wurde mit dem Satelliten Gravity Probe B untersucht.

    Erstaunlich ist jedoch die ganz ungeheuerliche Größe des hier angeblich gemessenen Effekts, denn nach bisherigem Wissensstand ist ein so rotierender supraleitender Ring insoweit auch nichts weiter als beschleunigte Masse, ob supraleitend oder nicht spielt überhaupt keine Rolle. Ein Supraleiter mag auch durchaus ein makroskopisches Quantensystem sein, aber eben nicht für (hypothetische) Gravitionen und (hypothetische) Higgs-Teilchen.

    Man sollte sich auch klar machen, dass mit rotierenden supraleitenden Ringen durchaus eine Menge von Effekten auftreten können, die in die bekannte elektromagnetische Ecke gehören.

    Wenn diese Messungen reproduzierbar sein sollten, und korrekt interpretiert wurden, dann wäre das eine Sensation, eine gewaltige ultraplus Sensation (ähnlich wie 1989 die \“kalte Fusion\“), und daher sollte man so etwas mit extremer Vorsicht geniessen.

    Inzwischen haben sich auch die Crackpots (www.mahag.com/FORUM/forum.php?id=1915) der Sache angenommen und in völliger Verkennung der Bedeutung des Begriffs \“gravitomagnetisch\“ sogleich Verbindungen zu \“Heim-Theorie\“ und \“Heim-Antrieb\“ hergestellt.

    Zu erwähnen wäre auch noch, dass Martin Tajmar in seinem Papier betont, dass er Podkletnovs angeblichen Effekt gerade nicht reproduziert hat (< 0.0005 %) und sich deutlich und ausdrücklich davon distanziert. Warten wir also auf eine unabhängige Bestätigung ...

  10. Hallo Bynaus, ich kenne zwei weitere Wissenschaftler, die Dr. Eugene Podkletnovs Arbeiten nachgebaut und positiv getestet haben: Ein gewisser Dr. Giovanni Modanese aus Italien und Frau Dr. Ning Li von der Uni Alabama. Leider wurden ihnen wohl keine weiteren finanziellen Mittel gewährt, um in größeren Maßstäben experimentieren zu können.
    Viele Grüße von Toni

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